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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1922)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Novalis
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0149

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Novalis

riedrich von tzardenberg ist noch nie umfassend gewürdigt worden. Wer
nicht gleichzeitig die Bedeutung des Menschen, des Dichters, des Philo-
sophen, des Geschichtsphilosophen, Naturforschers, des Phänomeno^
logen, Soziologen und Psychologen Äovalis dartun will, wird nie ein
geschlossenes Bild seines Geistes geben können. Bovalis widerstrebt jeder
Einordnung. Er wird bezeichnet als Meister der Frühromantik und ist zu-
gleich organisatorischer Geist mit dem Willen, das Gefüge der Welt zu
überblicken. An ihm wie an allen wahrhaft originalen Menschen wird jede
Kategorie zuschanden. Er vertritt keine einzelne Richtung. Es erweist sich
an ihm, daß Romantik eine Datierung bedeutet und keine Klassifizierung,
daß sie ein reiferes Stadium der über Lessing und Kant weitergeführten
Aufklärung ist und keine katholische Dichtergilde. tzatte der scharfsichtige
Lessing das Gefühl des undeutlichen Ganzen, die magische Anschauung
der Gegenstände verloren, so sucht Bovalis zur äußeren Schau die innere
wieder zu gewinnen, aus einer ähnlichen zur Befriedigung in endlicher
Synthese drängenden Zwiespältigkeit heraus wie nachmals Strindberg,
nur mit dem Rnterschied, daß der Romantiker Flucht von der Erde,
der Dynamiker tzingabe an die Erde wollte. Beider Kunstwerk ist in
keine kleinere Form gefangen als in ihr ganzes Leben. In ihm liegt
der Schlüssel zu ihrer Dichtung. „Leben und Werk des Novalis^, sagt Georg
von Lukacs, „bilden eine unzertrennbare Einheit und als eine solche Linheit
sind sie ein Symbol der gesamten Romantik^. „Die Lebenskunst der Ro-
mantik ist eine zur Tat gewordene Poesie."

„tzelft uns nur den Erdgeist binden,

Lernt den Sinn des Lodes fassen
And das Wort des Lebens finden",

das ist kein Programm für den ästhetischen Menschen, weit eher für den
Priester, den Philosophen, den Kämpfer. Dies alles aber mußte der Dichter
einem Rovalis sein. Politik, Pädagogik, Kirche stagnierten, als Rovalis
wirkte. Keine Weltstadt hüllte den geistig Erwachenden in ihre Atmosphäre.
In kleinsten Zirkeln löste sich das Wort vom Leben und wagte ein kurzes
Scheindasein. Alle Bindungen fehlten dieser Geistigkeit, die zum Volk, die
zur Kirche. Roch aber verfälschte auch kein Mammonismus und keine öde
Genußsucht die Welt der Denkenden. Was an äußeren Geschehnissen und
Begegnungen den Novalis unserer Liebe formte, ist wenig. Das Elternhaus
brachte die Berührung mit dem Pietismus — oft klingen Töne an in seinen
Schriften, Seuse verwandt und dem Görlitzer —, die Bücherei eines Önkels
sorgt für das wissenschaftliche Gegengewicht. Ausschlaggebende menschliche
Beziehungen fehlten. „Ich vermisse in meinem Geburtskreise, was ich in

Dezemberheft ^922 (XXXVI, 3)
 
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