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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI issue:
Heft 5 (Februarheft 1923)
DOI article:
Whitman, Walt: Gedichte von Walt Whitman
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0239

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Aber nun, dcr du hinfliehst in Nacht,
Von Tränen! Tränen! Tränen!

S

wenn keiner dich sieht — o schmel«

zender Ozean

Nacht in der Prärie

Ncrcht in der Prärie,

Das Abendmahl ist vorüber, das Feuer am Boden brennt Lief,

Die müden Auswanderer schlafen, in ihre Decken gehüllt;

Ich gehe allein, — ich stehe und sehe zu den Sternen empor, und< eK ift>

mir, als hätt ich zuvor sie niemals wirklich gesehen.
Nun nehm ich A.nsterblichkeit und Frieden in mich auf,

Nun bewundre ich Vorsehung und Tod. ,

Wie reich! wie durchgeistigt! wie festgehalten! —

Ich hielt den Tag für das tzerrlichste, bis ich sah, was die Nacht mir zeigte,
Dieser Erdball schien mir genug, bis da so lautlos um mich her >Myriade

anderer Welten hervorsprang.

Nun, da die großen Gedanken von Raum und Ewigkeit ^nich erfüllen,

will ich mich selber an ihnen messen,

And angehaucht von den Leben anderer Welten, die so weit gekommen

wie die der Lrde

Oder so weit kommen werden oder schon weiter gekommen sind,

Will ich hinfort nicht weniger sie beachten als mein eigenes Leben
Oder die Leben der Erde, die so weit gekommen sind wie ich^- oder so weit

kommen werden.

O, ich sehe nun, daß das Leben mir nicht alles offenbaren kann, ebenso

wie der Tag es nicht kann,^

Ich sehe, daß ich warten muß auf das, was Ler Tod offenbaren wird.

s

Was uns ein Baum zu sagen hat

1. September

^^ch möchte, um das zu erklären, weder den größten noch den malerisch^
^Hsten Baum wählen. tzier vor mir steht einer meiner Lieblinge — eine
^-^schöne, kerzengerade gelbe Pappel, etwa 90 Fuß hoch nnd oier Fuß
breit an der Wurzel. Wie stark, lebendig, dauerhaft! Wie wortlo?
beredt: Wie vermittelt sie das Gefühl von Anbeirrbarkeit und Sein, im
Gegensatz zu der Menschenart des bloßen Scheinens. Dann die nähezu
seelischen, fühlbar künstlerischen, Heroischen Eigenschaften eines Baumes;
so unschuldig und Harmlos und doch so wild. Er ist, aber er sagt nichts.
Wie beschämt er mit seiner zähen, gleichmäßigen Heiterkeit in jedem
Wetter dieses flatterhafte Wichtchen Mensch, das beim geringsten bißchen
Regen und Schnee unter Dach eilt! Die Wissenschaft (oder besser Halb-
wissenschaft) spottet über den Gedanken an Dryaden, Hamadryaden und
sprechende Bäume. Aber wenn sie auch nicht sprechen, so Lun sie doch
etwas, das gerade so gut ist wie das meiste Reden und Schreiben, ^ Dichten
und Predigen — oder noch viel besser. Ach möchte wirklich sagen,. daß
die alten Dryadengeschichten so wahr sind wie nur irgendwelche und
tieser als die meisten Aberlieferungen. („Schneide dies aus", wih der
 
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