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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI Heft:
Heft 4 (Januarheft 1923)
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Fuchs, Emil: Die Bergpredigt
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0168

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Menschen nnd die quälendsten in den Wenschen, die größte Kräfte und des--
halb größte Spannungen in sich tragen. Da ist das Alte, Unechte ganz und
gar überwunden, und es wirkt doch in einzelnen Formeln, Ausdrucksweisen,
Bildern nach. wirkt sogar in die Verwirklichung des innerlich Geschauten im
praktischen sittlichen Leben hinein und wird d a noch nicht empfunden.
Erst Spätere spüren es hier und tilgen es. So könnte es auch hier sein. Ls
könnte auch sein, daß ein Kreis vonMenschen aus einer flutenden, irgend wo-
her stammenden Äberlieserung alle die Worte sammelte, die ganz leuchtend und
echt das Tiefste, Gewaltigste religiösen Lebens verkündeten, was ihnen aufge«
gangen war und sie ergriffen hatte. Dann bliebe die Frage: warum knüpfte
mart dies an den Namen Iesu? Warum ist da, wo an ihn etwas geknüpft
wird, dies klare Leuchten reiner Echtheit und Urgröße, die dann in der fort-
schreitenden Bewegung nicht mehr verstanden wird? Irgendwie muß doch
diefe Echtheit in jenem Zeitpunkt so an die Menschen Herangetreten sein, daß
sie sie überwältigend spürten, ohne sie völlig klar festhalten zu können. Ob
nicht eben doch im Kern diese Äberlieferung Recht hat und die überwältr--
gende Kindlichkeit und Mannesgröße und Leidenschaft, die uns hier berührt,
wirklich ein Weiterstrahlen eines der Gewaltigsten ist, die über die Erde
gingen?

Wie dem sei, die tzauptsache ist, daß man diefe Größe fühlt und sie auf
sich wirken läßt. Und was jene alten Christen sammelten, mag es dreißig,
fünfzig Iahre nach Iesu Tod gewesen sein, mag es ganz und gar oder teil-
weise gar nicht von ihm gesagt worden sein, es ist eine Botschaft vom Aller-
gewaltigsten geworden, was dem Menschentum gegeben ist.

^ch will von außen nach innen gehen. Alle diese Lebensregeln sind zu-
Onächst Regeln einer größern Lebensklugheit als die Tagesklugheit ist —
und dann darüber hinaus Regeln der Lebenswahrheit und damit entschei-
dendster Lebenskraft, denn nur Lebenswahrheit ist Lebenskraft: „Richtet
nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet" — „Was siehest du aber den Split-
ter in deines Bruders Auge..." — „Wer einWeib ansiehet ihrer zu begeh-

ren_" — „Eure Rede sei ja ja, nein nein. Was darüber ist, das ist vom

Äbel..." — „Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichtes schuldig..."

Lebensregeln — und sie bezeichnen eine unbedingte, tausendmal erlebte
und immer erlebbare Wirklichkeit) der wir uns nicht entziehen können. Sie
sagen Leben aus! Und das andere ist Lüge! Mit starkem Griff weisen sie
den Menschen aus einem dumpfen Irrtum auf eine klare innere Sicherheit.
— tzaus auf dem Felsen! — Aber dahinter grollt gewaltig und erhaben ein
anderes Herauf, die Sicherheit einer andern Wirklichkeit, die in dieser Wahr-
heit und Reinheit gegeben ist. Es ist die Ienseitigkeit, das tzerausgehoben-
sein aus dieser Welt, ihrer Angst, Furcht und Sorge, ihren Abhängigkeiten,
Abhängigkeiten auch von Menschenfurcht, Ehrgeiz, Bequemlichkeitsbedürfnis,
Gemeinheit. Von der selbstverständlichen Wirklichkeit wird gesprochen, daß
Menschenseele heißt: außerhalb dieser Kleinheiten und Abhängigkeiten stehen,
die uns alle zwingen. — Sie zwingen uns alle — und wir können uns der
Sicherheit nicht entziehen, mit der die Worte der Bergpredigt diese Ienseitig-
keit uns zumute als wirklich uns aufleuchten lassen. — Der tzöhepunkt
sind hier die Seligpreisungen. „Selig sind die Armen." — „Selig sind, die
daLeid tragen..." Wir sind so sehr an diese Worte gewöhnt, daß wir vor
ihrer unmöglichen Wahrheit gar nicht mehr erschauern. Aber wie soll die
Tatsache des Todes unserer Lieben, der bittern Enttäuschungen unter Wen-
fchen, der vergeblichen Arbeit und der zehrenden Sorge „Seligkeit" sein?
 
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