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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 2 (Novemberheft 1923)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0137

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konigin, ich habe noch nie gewußt, nie
gefragt, weshalb ich dich so Lief grüße.
Weib, antworte» ich suche Widerhall.
Ist deine Seele ein so sternenwejit
Spannendes, wie alle sie träumen?
Lüfte den Schleier, daß ich alle Züge
deines 'Antlitzes sehe."

Das Bild blieb stumm und unbe-
weglich.

„Du auf dem Sockel, aus Millionen
Verehrungen gehäuft, wissen will ich
und schauen muß ich —"

And seine Hand griff in den Schleier
und riß ihn Herab.

Groß wie ein feuriges Rad wurde
das Auge des Mannes, Beben stieg aus
seinen Knien empor, und mit einem
jachen Äaumeln wandte er sich um und
stürzte wie gepeitscht davon.

Das Bild stand unbeweglich. —

Weisheit der Dämmerung war längst
auf das Land gesunken, müde waren die
Stunden der Nacht Hingekrochen, fahl
schon randete sich der Himmel zum
Morgen.

Da trat der Männ gesenkten Haup-
tes in den Lempel: „Ich Kleingläu-
biger", küßte die Stufen und hob seinen
Blick klar gen das Sphinxgesicht.

„WelcherTor gab dir denSchleier?!!"

M. E.

Die Krmst, Recht zu behalten VI

verallgemeinerungen

ie die meisten Sprachen bildet auch
die deutsche die allerverschiedensten
Sorten von Verallgemeinerungen gleich-
mäßig durch einfache Setzung des Sub-
stantivs, ohne Hinzufügung von „alle",
„die ,meisten", „viele", „einige": der
Franzose ist eitel, de r Deutsche hat Ge--
müt; die Männer sind. ., die Frauen
sind . . ., die Fuden sind . . . In
einer einzigen Zeitungsnummer fand
ich -die Sätze: d i e Iugend liebt Haupt-
mann leidenschaftlich; die Iügend ist
gänzlich respektlos geworden; die Iu-
geüd treibt heute nur noch Sport; die
Iugend ist unsere Zukunft und unsere
Hoffnung. Der Grad der Allgemeinheit
bleibt in wohlwollendes Dunkel gehüllt.
Wirklich allgemeingültige Arteile
siüd ja nur in wenig Erkenntnisgebie-
ten, wie in der Mathematik möglich.
Aber wir sind gezwungen, um über-
haupt reden zu können, Aussagen von
solcher unbestimmten Allgemeinheit zu

machen. Wollen wir nicht in der ver-
wirreNden Fülle der Einzelheiten stecken
bleiben, müssen wir mit Aotwendigkeit
generalisieren, thpisieren, schematisie-
ren; und das ist in gewisser Hinsicht
immer ein Fälschen. And wer wollte
da im Laufe einer hitzigen Debatte die
Sammlung finden, peinlich und gewis-
senhaft zu überlegen, wo eine Verall-
gemeinerung relativ berechtigt oder wo
sie unberechtigt sei?

Dazu kommt, daß auf allen Lrfah-
rungsgebieten nur Induktion als Mit-
tel zur Erwerbung allgemeiner Lin-
sichten zu Gebote steht. Aud es bleibt
immer unbestimmt, aus wieviel Einzel-
fällen man zu leidlich gesicherten Lr-
gebnissen gelangen kann. Oft schließen
wir mit Recht von einem einzigen Fall
auf alle. Wer von einem beliebigen
Stück reinen Bleis festgestellt hat, daß
sein spezifisches Gewicht ist und

daß es bei 2350 Celsius schmilzt, der darf
behaupten, daß jedes andere, irgendwo
in der Welt gefundene Bleistück diesel-
ben Zahlen liefert und daß keinerlei
Ausnahmen auftreten werden. Das er-
scheint uns fast als Einsicht a priori.'
Aber anders steht es schon auf organi-
schem Gebiet. Wer eine neue Pflanzen-
gattung entdeckt hat, wird sich nicht be-
gnügen, nur an einem Lxemplar die
Staubfäden zu zählen. Erst nach Prü«
fung von 5 oder 6 Lxemplaren gestattet
er sich das Allgemeinurteil: Pflanzen
dieser Art haben so und soviel Staub-
fäden; und auch daun schließt er die
Möglichkeit von Ausnahmen und Ab-
normitäten nicht aus. — Noch viel un-
günstiger liegen aber die Verhältnisse in
den Geisteswissenschaften. Hier bürgen
oft hundert, ja tausend Fälle nicht für
die Richtigkeit einer Regel. And da wir
im Verlaufe einer Debatte meist keine
andere Möglichkeit haben, die Nichtig-
keit eines allgemeinen Satzes zu „be-
weisen", als die Bestätigung durch ein-
zelne Fälle, ist es geradezu kinderleicht,
seine Zuhörer hinters Licht zu führen
und ihnen durch eine Reihe geschickt ge-
wählter, unzweifelhaft zutreffender Bei-
spiele das Falscheste einleuchtend zu
machen. Ich habe einmal im Kunstwart
(XIX, 5) einen Aüfsatz veröffentlicht,
in dem ich mir den Scherz machte, z,u-
nächst eine Reihe vollkommen falscher
Sprachregeln über die Setzung der Vor»
 
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