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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 4 (Januarheft 1923)
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Ertl, E.: Von Roseggers Schaffen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0177

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Publtkum dabei zu denken^ oder aber von der LLbsicht, auf andere zu wirken,
sich leiten lassen solle. Hierüber handelt zum großen Teile der solgende
Brief Roseggers:

„Lieber Freund! Krieglach, 5. Iuni> My.

. Auf Deine Anregung, ob „Selbstzweck" oder „Wirkungsabsicht"

denke ich viel nach, bin aber schon auf den Gedanken gekommen, daß auch
die scheinbar absichtslosen Vorgänge des Lebens ihre Pointen haben —
Mittelpunkte oder Erfolge. Solche Punkte sind z. B. eine Mannestat, eine
Sünde, sogar die tzochzeit, der T'od usw. And jeder Tag unseres ba-
nalen Lebens ist auf die Pointe bereHnet, und wäre diese auch bloß nur die
iAuszahlung des Taglohnes. Sogar meine Fasttagsmahlzeit hat ihre Steige«
rung und Pointe: zuerst kommt die Wassersuppe, zuletzt der Sterz!

Im Leben würde das Bewußtsein, daß man nur da sei, um zu vegetieren,
also zum Selbstzweck, das Gefühl der Langweile erzeugen. In der Kunst
mag der Selbstzweck mehr Berechtigung haben, nur muß sich dann der
Künstler Gegenstände wählen, die immer gleich vollkommen oder unvollkom-
men sind, in denen sich nichts mehr entwickeln kann.

Denke nach, ob das stimmt, vielleicht ists ein Unsinn, dann pointiere
ihn und lach' mich aus-

Apropos: — Woche — Sonntag — Ertl! .Wäre das nicht auch eine
hübsche Steigerung und eine gute Pointe für Deinen treu ergebenen

Peter Rosegger?"

Nach dieser Außerung war ich mir darüber im Reinen, daß die erwähnte
„tzandwerksregel" nichts weiter enthielt als eine selbstverständliche und natür-
liche Lntwicklung des Stoffes, die auf wirksame Steigerung Bedacht nimmt.
Die Fragen der künstlerischen Formgebung berührte sie im übrigen nicht.
And solche Fragen wies Rosegger mit vollem Bewußtsein auch von vorn-
herein ab. Sie interessierten ihn nicht, es fiel ihm nicht ein, sich damit zu
beschäftigen. Wie schon erwähnt, trug er „Form" und „Stil^ in sich, er
hatte es nicht nötig, sich weiter darum zu kümmern. Er dachte nur an die
„tzandlung" und an den „Stoff".

Einen einzigen Brief besitze ich, der sich auf diesen Gegenstand einläßt,
und zwar, obgleich veranlaßt durch radikale Bemerkungen von meiner
Seite, welche die Begriffe „Kunst^ und „Form^ fast gleichgesetzt hatten,
mit einem so maßvollen Abwägen aller in Betracht kommenden Gesichts-
punkte, wie es dem Waldheimat-Dichter in ästhetischen Fragen sonst nicht
geläufig zu sein pflegte.

„.Du hast mir einmal gesagt, Du läsest Bücher nicht des Inhaltes,

nur der Form wegen. An dieses Wort denke ich oft. Doch dürfte ich es
mißverstanden haben. Wenn an einer Dichtung die Form tzauptsache
ist, dann hat Goethe sein „Hermann und Dorothea^ des schönen Metrums
wegen geschrieben, und Schiller den „Tell", um ein gutgegliedertes wohl-
klingendes Theaterstück zu machen. — And Deine Wiener«Romane, so gut
sie auch geschrieben sind; nicht einen einzigen las ich der Form, des schönen
Stils wegen, sondern weil ich wissen wollte, was erzählt wird. And dieses
Stoffes wegen hast Du die Romane auch geschrieben.

Ietzt weiß ich was Du antwortest. — Rosegger, wirst Du sagen, Du erinnerst
Dich für die Geschichte Wiens und für die betreffenden Wiener Familien.
Gut. Wie aber hättest Du all die Ereignisse und Merkmale, die Dir das Bild
geben sollen, zusammengefunden, wenn nicht der Dichter die Dinge aus ver-
schiedenen Zeiten und Räumen zusammengebracht hätte, zu einer übersicht«
 
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