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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 1 (Oktoberheft 1922)
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Schäfer, Wilhelm: Aus Wilhelm Schäfers "Dreizehn Büchern der deutschen Seele"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0042

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Den RitLer zuerst, wie er hinausritt von seiner Burg, Tod und Teufel
zum Trotz den Kampfritt Zu wagen: da saß er selber zu Roß und war ein
Sinnbild der Zeit, die mit gepanzerten Fäusten dem Geist wider die falschen
Gewalten das Wegrecht zu zwingen gedachte.

Aber der Geist war in die Fesseln der Frage verstrickt; mit lahmen Flügeln
der Melancholie saß die Mutter der Dinge und konnte der Faust des Ritters
nicht folgen, weil ihre forschenden Augen den Irrweg erkannten: so war das
zweite Blatt seiner Stiche.

Aber das dritte war dies: im engen Gehäus saß der Greis und schrieb
seine Blätter; da war der Tod nur noch ein Schädel, der im Abendlicht
zwischen den Büchern und Kissen — der Arbeit und Ruhe — dem Dasein
gehörte; Reinecke Fuchs und der Löwe, Klugheit und tzerrschgewalt lagen
im Schlummer zu seinen Füßen, indessen die gläubige Einfalt ihr Tagewerk
machte.

Drei Blätter in Kupfer gestochen: aber die alte und neue Zeit, tzerkunft
und tzingang des Geistes, waren darin mit deutscher Seele geschrieben.

Mörike

Nur Einem hatten die Nornen die silberne Spindel in seine ärmlrche
Wiege gelegt, nur Einem «wurde die Enge zum 'Schicksal, das er mit stolzer
Bescheidung bezwang.

Vikar an mancherlei Orten, >zu Cleversulzbach im Rnterland Pfarrer, dann
kränkelnd in Mergentheim, fünfzehn Iahre lang als Lehrer in Stuttgart
geplagt und dreizehn danach auf seinen Tod wartend: trug Eduard Mörike
recht wie ein Stiftler sein irdisches Leben.

Ein zarter Iüngling wurde ein kränklicher Mann und ein Greis, von
den Nöten des Alters geplagt; eine gläserne Seele, zart und zerbrechlich,
mußte ein langes Leben aushalten, bevor ihr der Tod den dünnen Stengel
abbrach.

Aber die gläserne Seele, zart und zerbrechlich, nahm ihre irdische Enge
hin, wie eine Blume im Garten den Lärm spielender Kinder, tzundegebell
und tzammerschlag aus der Schmiede, Rädergerassel und Glockengeläut still
übersteht.

Der säuselnde Wind sang in das Lied ihrer steigenden Säfte, die Sterne
der Nacht, ihre ewigen Schwestern, standen im Schlaf ihr zu tzäupten, und
ihre Mutter, die Sonne, küßte sie wach in den Morgen.

Da war der irdische Tag nur die bunte Verkleidung, darin sie mit ihren
Wurzeln und Säften, mit ihrem schwellenden Kelch und der leuchtenden
Blüte ein dankbares Kind der ewigen Wiederkunft war.

So machte der kränkliche Pfarrer im schwäbischen Rnterland seine Ge«
dichte; eine unsterbliche Seele war ihrer Wirklichkeit froh in der schlichten
Verkleidung. ein Sendling der Ewigkeit ging durch den Tag, staunend und
stolz seiner Demut.

Da wurden ihm alle Dinge dankbar vertraut, und allen sprach er den
zärtlicheir Gruß seiner Seele; die Freuden trank er, wie einer den Trunk
auf der Wanderschaft nimmt, die Leiden hob er wie Spinngeweb auf und
ließ sie im Sonnenschein schimmern.

Nie wieder nahm Einer die kleinen Dinge so innig zur tzand, nie streichelte
Einer das Leben so dankbar, dem es im Tiefsten so fremd war.

Nur einmal verriet er die tzerkunft, als Weyla, das göttliche Kind seiner
Seele, Orplid die tzeimat besang, als Könige kamen, seiner Gottheit Wärter
zu sein. ' ^

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