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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 2 (Novemberheft 1923)
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Trentini, Albert von: Aus Albert Trentinis "Goethe"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0118

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freurrdschaft im Hause oben die Tafel jetzt richtet, seine Gattin. Das Mäd-
chen, das sich noch nicht hervorgewagt hat, seine Tochter. Mit einem Wort:
ich bin in Sizilien! Aber — der Garten? Äber der Blüte des Granat»
apfels glänzte das Blatt des Lorbeers. Äber dem Feigenbaum mit hell»
grün praller Frucht schwebte das ungeheure Alter des Olbaums. Äber dem
Felsgang, unter Kaktus und Myrte, wand sich die Wicke der Melone. Ein
Wäldchen von Apfelbäumen ward aus unberührtem Rasen frei in die samt«
blaue Luft hinausgehoben. Hart zu seinen Füßen, auf niedriger, roterdiger
Terrasse, wedelten die Palmen um das Spalier der glasgrünen Birnen.
Ein Brunnen quoll im abschüssigen Moosgrund und rann, ohne Schaum,
rasch hinab über unzählige ineinander verschlungene, verschiedengrüne
Blätter in die Tiese des Dickichts. Um seine ungegrenzte FeuchtigkeiL, in
ungehemmter Wildnis wuchsen: die Schwertlilie, die Aloe, die Riesen«
glockenblume, alle Gattungen der Rose, der Iasmin, die Narzisse, der Akelei
und der Dornbusch. „Bin ich — bin ich wirklich in Sizilien?" Traumhaft
geleitet schritt der Fuß. Betäubt, ohne Widerstand gehorchte das Auge der
paradiesischen Lockung. Glücklich im Stolz reichte der Hausherr eine tzand-
voll Kirschen. Kurz darauf brach. er, aus dem dunkelsten Versteck, die erste
Feige. An einer Rebe, die ein Gitter allfarbiger Schleierblüten umgau»
kelte, hingen die reifen Trauben. Dicht daneben, an einem braungoldenen
Stock, die vertrockneten des letzten tzerbstes. In einem Felde von blauen
Anemonen und halb schon verblühtem Thymian lagen scharlachrot, dick und
schwer die Erdbeeren. Von den üppigen Zweigen eines weitausgebreiteten
Baumes, der wollüstig in die Abendsicht des Meeres hinausragte, schaukel«
ten die rostbraunen Schoten des Iohannisbrotes. Unter zarten Kronen,
aus deren Tüll die blaugrüne Mandel herabschaute, stand eine Steinbank.
Auf^ ihr ein Teller aus Maulbeerblättern. Im Teller lagen gelbe japanische
Mispeln. And jetztnoch weiter? Wohin? Lächelt der Mann, der das
kindische Erstaunen begleitet? Am den grenzenlosen Blick auf die verglim»
menden Trümmer der Tempel tief unten stand plötzlich der Strauß Hoch-
gelber Ruten des Ginsters. Weiße Lilien, zuTausenden, ein Wald, leiteten
aus diesem Golde links, der ungeheure Purpur von Pfingstrosen rechts
zurück aufwärts nach der Bogenhalle an der Palastwand, die licht von der
tzöhe herableuchteLe. In der Mitte zwischen diesen Gassen aber, immer
wieder verschlungen vom unaufhörlichen Spiel des Grünen, jetzt eilend,
jetzt zaudernd, kam eine helle Gestalt die tzalde herabgeschwebt,' mit einem
Ruck blieb der Verzauberte stehen.

„Meine Tochter!" stellte der tzausherr, mit steifer Verbeugung, vor: er
hatte den Blitz, der zwifchen den zwei Antlitzen aufgesprungen war, wohl
bemerkt. „Es geht, kann man behaupten," sagte er darum sogleich, „weder
die Blüte noch die Frucht jemals aus in diesem Garten!" Im selben Augen»
blick schoß Blut in sein Gesicht. Er war ein besonnener Mann. Ietzt aber,
ohne es zu -vissen, stampfte er in den Boden. Wie, schien das Beben zu
fluchen, — einen Diener sah er herabjagen, hörte er suchend herabrufen —
es wird mrr etwas aufgedrängt? Angehetzt? Und im Ru glomm der Funke
des Mißtrauens auf in seinem Auge. „Frage die Mutter," befahl er der
Tochter, die wie aus uralter Zeit in vollendeter Iugend vor seiner männ»
lichen tzöhe stand, „ob das Abendmahl bereit steht.^

Aber die Tochter lächelte nur. Rm Verzeihung bittend, daß sie nicht
gehorchen könne, lächelte sie. And gehorchte nicht.

^Du sollst," wiederholte der Mann — wie um seinen Körper zu fühlen,

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