Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI issue:
Heft 4 (Januarheft 1923)
DOI article:
Etwas vom Eide
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0189

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Kinder: „Ich glaube an Gott den Vater . . . und an Iesurn Christum,
feinen eingeborenen Sohn, der empfangen ist vom heiligen Geist, geboren
von der Iungfrau Maria. . . niedergefahren zur tzölle, am dritten Tage
auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel . . . Ich glaube an
den heiligen Geist . . . Auserstehung des Fleisches. . . . Amen."

Der Geistliche: „Wollt ihr auch zu aller Zeit diesen Glauben
bekennen durch Wort und Wandel, dem Bekenntnis der evangelischen Kirche
getreu bleiben, aller kirchlichen Ordnung euch fügen, fleißig zu Wort und
Sakrament kommen und jetzt euer Gelübde mit Iesu Heiligem Abendmahl
bekräftigen, so antwortet: Ia."

2. Lypus:

Eine fromme Frau hat einem Bettler eine kleine Gabe gereicht. tzinter
dem Bettler taucht ein Schutzmann auf und nach einigen Tagen wird die
Frau als Zeugin vorgefordert. Da sie gehört hat, daß sie dabei einen Eid
leisten muß, plagt sie sich innerlich viel mit dieser Frage. Lndlich ist sie
soweit, den geforderten Eid trotz der Bibelworte schwören zu können. Stunden
im Korridor des Gerichtsgebäudes. Auch das geht vorüber: ihr Name
wird aufgerufen. Richtig, sie muß schwören. Sie tut es mit großer Andacht.
„tzat dieser Mann hier an Ihrer Türe gebettelt?" — „Ia!" — „Nun gut,
er hat ja auch schon gestanden. Sie können gehn." —

Z. Typus:

Münchner Geiselmordprozeß, vierter Verhandlungstag. Der Aeuge So-
undso weigert sich, den religiösen Eid abzulegen, „wegen seines revolutio-
nären Gewissens." Als revolutionärer Proletarier versichere er, die reine
Wahrheit zu sagen, aber den Lid leiste er nicht. Der Vorsitzende macht ihn
auf die Strafen aufmerksam, die auf die Eidesverweigerung gesetzt sind. Der
Zeuge: man möge ihn dann eben bestrafen. Der Gerichtshof beschließt,
den Zeugen wegen ungerechtfertigter Verweigerung des Eides zu
einer Geldstrafe von 300 Mark bzw. einer tzaftstrafe von sechs Wochen nebst
den Kosten zu verurteilen. Die Verteidiger machen den^ Gerichtshof auf
den Artikel s36 der neuen Reichsverfassung aufmerksam, wonach niemand
zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden darf. So
nach den Zeitungsreferaten, aus denen man vom tzergang der Zurückweisung
dieses Einspruchs kein klares Bild erhält, Tatsache bleibt, daß der Zeuge
bestraft wird. Die Szene wiederholt sich in den nächsten Tagen, bis ein
Zeuge den Ausweg findet, den Eid prinzipiell zu weigern und festzustellen,
daß er ihn nur gezwungen leiste. Dies Vorbild wird von den nächsten Lides-
weigerern nachgeahmt.

Diesen Bildern, zu denen man noch häßlichere aus der Praxis des Privat-
prozesses hinzufügen kann, ist gemeinsam, daß zum Leichtnehmen starker
religiöser Aberzeugungen in ihnen erzogen wird.

Bei Gelegenheiten vom Typus des Konfirmandeneides, der natür-
lich in sehr verschiedenen Formulierungen vorkommt, wird ein Schwur
gefordert, der von einem seine Aberzeugungen ernstnehmenden Menschen
mit Bewußtsein sittlich gar nicht geleistet werden kann, also noch weniger
gefordert werden darf. Denn das Verhältnis zu den im Konfirmanden-
unterricht vorgetragenen oder im „Bekenntnis" niedergelegten Vorstellungen
ist für einen ernsten Menschen nicht Sache eines Entschlusses im Kindes-
alter, sondern Inhalt seiner Entwicklung und seines ernstesten Erlebens.

Bei Gelegenheiten vom Typus des Zeugeneides bei Lappalien wird ein
 
Annotationen