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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 5 (Februarheft 1923)
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Schumann, Wolfgang: Geistigkeit: fünfter Teil der Betrachtungen über die Antriebe des menschlichen Daseins
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0228

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grundsätzlich des Mittels durchgeführter Dialektik. Es fürchtet fich nicht vor
dem Wort. Wohl bewußt feiner Unzulänglichkeit, sucht es mit dem Wort
nicht vollkommen und zwingend zu beschreiben, sondern gemäß her ftillen
Schau abzubilden, in der berechtigten Hoffnung, daß dem wortlichen ,,Ab»
bild" stärkere Banngewalt innewohnen werde, als der schrittweis fortschrei--
Lenden „Beschreibung" und dem „Beweis". Seine seelischen Mittel nann«
ten wir: stille Schau, Einfühlung, Versenkung, Hirrgabe. Spielt <,chte Liebe
hinein, so ist den schauenden Kräften Unendliches beschieden. Mit gefühl-
betontenl Wort: Heimatstreben ist geistige SehnsuHL; wir sehnen nns hinein
in die Welt, „er-sehnen" sie, erschließen sie, indem wir eins werden'mit ihr,
uns aufgeben als Individuen und in ihr erstehen als Bewußtseinsteile der
Welt ohne die Grenzen des furchthaften, begehrenden, kämpfenden und sich
betonenden Ichs. Gebilde, die solcher geistiger Haltung entspringen, sind
nicht zwingend durch die Vollkommenheit der in ihnen enthaltenen Beschrei-
bungen. Sie sind nur zwingend durch die Kraft geistiger Schau, die sich
als schöpferisches Element im Werk kundgibt. Doch ist dies zwingende Ge-
walt genug. Werke der Wissenschaft vergehen in Iahrzehnten, Werke reinster
Schau wirken durch Iahrtausende hin. Wissenschaft ist zuallermeist wider-
legbar, ein dissonantes Millionenlied, in dem die Stimmen aufklingen und
entschweigen. Ihre Leistung sind notwendige Erkenntnisse. Weltbilder, aus
reiner Schau geboren, sind unwiderlegbar, klingen wundersam zusammen,
so verschieden die Stimmen auch ertönen, von denen keine echte ganz derklingt.
Ihr Sinn ist Erkenntnis des Notwendigen. Ist die.Atmosphäre der tätigen
Neubegier in hoher Entwicklung eine nüchterne und achtungerzwingende
Geistigkeit, im Fall leidenschaftlichen Wissenstriebes muthaft, ja todesmut-
voll, so erzeugt schaffendes Sehnen, leidenschaftliches HeimatstrebLn eine
Luft, in der die Seele zu atmen und zu blühen beginnt, cine ALmosphäre
in der Furcht und Begehren sinnlos geworden, Lebensdrang gemindert, eine
Geistigkeit, die um so bannender und unentrinnbarer ist, als sie die volle
Welt umschließt und keine Anterwerfung kennt als die freier Hingabe.

Wissenstrieb! ein schlichtes Wort. Doch ein Lebensstrahl, dessen Selbst-
vollendung zugleich Menschtum-Entwicklung bedeutet. Er schasft die Gei-
stigkeit der Menschheit; ein ihr und ihr allein eigenes Werk. Werk der
Besreiung und der Verwandlung. Denn wie der Einzelne, sich vergeistigend,
der Vorherrschaft furchthafter und begehrender Triebe sich entringt und in
freier Liebe, entäußert, einer geglaubten, nur geglaubten, aber unbeirrbar
geglaubten Bestimmung lebt, so vergeistigt der mittlere Trieb, von Liebe
bekräftigt, die Menschheit, hilft Furcht und Begehren abtun und übernimmt
im Laufe der Aonen die Führung, die den zweckerfüllenden Drieben entsinkt.

Geistigkeit wird so manches genannt. Der besondere Denkstil der Völker,
die gewohnheitmäßige Beschäftigung mit Schrift oder Kunst, die Denk-
krast des Einzelnen. In weitestem Vetracht ist sie Werk und Ziel eines ur-
gegebenen Triebes, der an Zwecken mitwirkt, doch über sie hinaus Kraft
bewährt: ein absolutes Gebot aller, die ihr Wesen ahnen oder'wissen.'Auch
sie verheißt, wie Liebe, nichts mit Worten Angebbares. keinen Nutzen,
keinen greifbaren Vorteil. Nur sich selber, den Menschheitsstand voller Ent-
faltung nach einer Seite hin, die Erfüllung eines Gesetzes, das wir ahnen
und aussprechen und das uns zwingt. Nm des Geistigen willen ist tausend-
mal Tod froh empfangen worden, und wenn ein Dienst neben dem ^der Liebe
von freiesten Menschen freiwillig gesucht und erfüllt wurde, so war es der
am Geiste. Wolfgang Schumann

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