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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI issue:
Heft 6 (Märzheft 1923)
DOI article:
Fischer, Eugen Kurt: Zur neuen Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0266

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wird eine nichtwegzudenkende Fnlte im Gesicht der Zeit sein, die ein Par-
tikelchen Ausdrucks ihres Mienenspiels darstellt, das sich aus vielen Falten
und Fältchen zum „Gesicht" fügt, dem Ausdruck all seiner in Wechselwir-
kung stehender und ewig neu entstehender Linzelformen, die wir Wen-
schen Gesetze, Einrichtungen, Sitten, Moden zu nennen uns gewöhnten.

Vielleicht sind wir heute und sür lange Zeit zu klar, um Künstler im
alten Sinne zu sein, die naiv und farbenfroh ausdrücken, was sie bewegt,
sicherlich schadet diese Klarheit nichts für das Künstlersein, wie wir es im
Augenblick brauchen, nicht einmal dann, wenn diese Klarheit uns mne Zeik-
lang, wie es fast scheint, den Weg zum dramatischen Lrlebnis (in jedem bis-
herigen Sinne) versperrt oder wenn der Musiker durch die begrenzte Skala
des Klaviers ^eine Ausdrucksmöglichkeiten so sehr gehemmt sieht, daß er
zum Orchester flüchtet. Gewiß, ftüheren Zeitaltern (mit Ausnahme aller
Spätzeiten) blieben solche Aberlegungen im allgemeinen erspart, aber nur,
weil für sie das Kunstwerk exoterische, nicht esoterische Angelegenheit, weil
es Dienst am Volke war. Viele glauben an eine Reform der Kunst durch
Zurückschraubung der Entwicklung ins Bewußt-Volkstümliche. Leo Falls
„Brüderlein fein" gibt die Antwort: es entsteht der sentimentale Kitsch.
Die Kunst darf keine Rücksichten nehmen auf Publikumsniveau, diese Arbert
nehmen ihr schon — und mit erheblichem Geschick — die Romanschreiber
und Ieitungsversfüßler ab, sie muß nur danach trachten, Ausdruck der
Lebenstotalität zu sein, die der Künstler in gleichzeitigem Drange nach
außen und innen sich unausgesetzt erkämpft und die mehr darstellt als
Laune, Stimmung und Nervenspiegel, Spekülation oder sixe Idee ihres
Verfassers, die zwar nicht verankert ist im Dutzenddenken der Melzuvielen,
die aber doch auch das Lebensgesetz dieser Menschen in sich auf-
genomnren hat und an geeignetem Orte herausstellt, innig verflochten in
den Kosmos der Dichterwelt, die einen ganz bestimmten Aspekt der Gesamt-
welt gibt, und so in seiner Besonderlichkeit und seinem Sinn fürs Ganze
herausLretend.

Nicht das Zufällige, sondern das Bedeutsame, nicht der Einfall, sondern
die Eingebung macht die neue Kunst. Sie will aufhören, mit Möglichkeiten
zu spielen, mit Gesühlen, Stimmungen, Situationen zu experimentieren,
ehrfurcht- und glaubenlos, denn sie hat zwar keinen lebendigen Nesonanz-
körper wie die Kunst der Alten, aber sie fühlt die Notwendigkeit, Klärung
zu schaffen, um Abbilder und Arbilder des wesentlichen Lebens 'zu gestalten,
die all denen sich schenken, die guten Willens sind zur Klärung ihres eigenen
Ichs und zu seiner Einordnung in ein allmählich sich formendes Gefüge
neuer, zunächst geistiger Gemeinschaft. Nicht l'art pour l'art ist die Parole
der Heute Schaffenden, sondern: die Kunst zur Aufhellung des Lebens,
seiner Zusammenhänge, seiner Abgründe, seiner Wunder. Wer solches
will, findet von selbst den Weg zu dieser Kunst. Wer Anterhaltung, Zer^
streuung, Nervenkitzel, Sinnenstachel will, lese den Vergnügungsanzeiger
seiner Zeitung oder lasse sich von seinem Buchhändler entsprechend beraten.
Die wirkliche Kunst will, bewußter denn je, Tempelerlebnis, freilich in einem
ganz neuen Sinn des Wortes Tempel: ihr ist das Pandämonium des Le-
bens der Tempel, und alle, die es ahnend zu schauen vermögen, sind die
Templeise. E. K. Fischer

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