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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 6 (Märzheft 1923)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0306

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Kindern verschlossen, ein künstlerischer
Trieb wird verschüttet. And es könnte
doch so leicht nnders sein! Sehr wohl
läßt sich Schreib-Iknterricht so erteilen,
daß er zugleich den Ausdrucktrieb ent-
bindet und die Ausdruckfreude gewährtl
Sognr rascher und sicherer wird dann
schreiben gelernt. Diese ganze wichtige
Frage behandelt eingehend und nach--
drücklich F. Kuhlmann in seine^
Schrift „Schreiben im neuen Geiste"
(Kellerer, München); er legt klar aus»
einander, wie mechanisierend bisheriger
Schreibunterricht war, und mit Stau-
nen wird man bei ihm lesen und sehen,
auf welch lebendige und frohe Art
wohlverstandener Schreibunterricht ge-
geben werden kann. Das ausführliche,
nach allen Richtungen hin Anregung
und Belehrung bringende, mit zahl--
reichen Schriftabbildungen versehene
Buch hat eine Bedeutung, die weit
über die Schule hinausgeht; es ist in
der Lat ein Stück Kultur, um die es da
geht. Kuhlmann hat übrigens auch eine
Anleitung zum SelbstunterrichL ge-
schrieben: „Der Weg zur natürlichen
schönen tzandschrift" (ders. Verl.), prak-
tischer, erprobter, ausführbarer Rat,
wie derEinzelne sich von Zwang, Kon«
vention und Dürre losmachen und eine
Handschrift gewinnen kann, die zu
schreiben ihn, die zu sehen andere
freut.

Zwei Strautze

er erste ist Iohann Strauß.
Äber ihn hat E. Decsey ein um-
fangreiches Buch geschrieben („I. Str.",
298 S. mit 25 Abb., Deutsche Verl.-
Anst., Stuttg.).

Keineswegs zu umfänglich. Von
diesem Strauß hört man so gern. Der
Genius der Menschheit ist so gütig, ab
und zu die geniale Kraft zu paaren mit
irgend einer sonst gar nicht so geschätz-
ten Sönderbegabung. Da ist einer „als
Kristallograph genial", dort einer als
Bürgermeister oder als Offsetdrucker.
Einmal gefiel es ihm, Genialität einem
Operetten- und Walzermann zu ver-
leihen, gleich im Aberfluß. Mit der
Genialität zugleich noch eins: den un-
erhört konzentrierten Lebensgeist einer
zaubervoll anmutigen, im Walzer wei-
sen und im heißesten Lebensgenuß seele-
überhauchten Stadt und Volksgemein-

schaft. Gienie als Lxponent des tanzen-
den, lebensübervollen, rhhthmusdurch-
zitterten, den Lod noch mit wifsend-
spielenderGebärde distanzierendenWien
und seines Osterreichertums. Das war
Strauß. Decsey weiß darum. Er er-
zahlt übrigens einfach, flott, anspruch-
los, was man nun über den alten Mu«
siker allmählich herausgebracht hat, und
er widmet sich auch freundlich und mit
normaler Kennerschaft seinen berühmten
wie den unberühmten Werken, von de-
nen man durch ihn einen „Begriff" be-
kommt. Riemand wird das Buch er-
schüttern als solches; doch von I. Strauß
geht durch es hindurch ein belebender
Strom auf den Leser über, und Mensch-
liches, Allzumenschliches, Wienerisches,
Allzuwienerisches zieht lockend an ihm
vorüber.

Mehrere Anläufe habe ich gemacht»
des Wieners R. Specht Buch: „Rü-
chard Strauß und sein Werk"
(2 Bände, Verl. G. P. Lal, Wien) zu
lesen, wirklich zu lesen. „Man muß
seine Zeit zusammenhalten" — „man,
muß gerecht sein" — „man kann doch
nicht verlangen, daß ich viele Tage lang
immer wieder in überreizter Grmat-
tung verkomme" — „und doch steht so
vieles Nette drin!", so ging es in miv
um . . . Nun, dieser Strauß ist wahr-
haftig keine Null. Mag sein Werk un-
gleichwertig wie wenige sein, ja zu aller-
meist die allermeisten Kennzeichen einer
der Kunst bitter ungünstigen Gpoche tra-
gen, Zeit-Zeichen von der Art wie Ge-
niales sie sonst kaum je trägt, — er>
hat denn doch einfach Großes ge-
macht, wie es keine örei anderen konn-
ten, mit einem metallenen Geist —
Geist mehr als Seele zwar —, mit einer
hinschmeißenden mehr als hinreißenden,
doch jedenfalls mit Kraft, und mit
einer Fähigkeit, „Neues" zu geben (nicht
immer Arsprüngliches!) und dem An-
betretenen abzuerobern, und damit —
halloh! Nichts da, er „verdient" seine
Würdigung wie einer, und heute, dck
jedem Dichter- und Musikerlein schon
eine Buch-Huldigung dargebracht wird.

-Aber: die Zeit kommt oder ist da,

schätzen zu lernen die knappe und
starke Sprache der Reife, die Ge-
walt der Sachlichkeit und das Pathos
der Beschränkung. Aud wenn ich Ri-
chard Specht nun erst einmal seitenlang

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