Adelsforschung - Wurzeln und Kontexte
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piell in Frage gestellt wurde, verwickelte sich die DDR-Mediävistik in umfangrei-
che interne Debatten um die Fragen der Periodengrenzen und der Wurzeln der
adligen GrundherrschafWk Eckhard Müller-Mertens, der die römischen Wurzeln
der mittelalterlichen Grundherrschaft stark betonte, kam sogar zu der Auffassung,
daß man für die Übergangszeit zwischen Antike und Mittelalter von Produktions-
verhältnissen sui generis sprechen müsset. Unbestritten blieb aber die Rolle des
Grundbesitzes, da die Prämisse, daß die ökonomische Basis die Gesellschaftsstruk-
tur bestimme, nicht bezweifelt wurde. Die Bedeutung der königlichen Ämter trat
in dieser Perspektive zurück.
Mit der älteren Sicht ebenfalls kompatibel war die Auffassung der französi-
schen Forschung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts^. Im Hintergrund stand
dabei die Vorstellung, daß sich die oberste Gesellschaftsschicht vor allem durch
die Größe des Besitzes von der restlichen Bevölkerung abhob. Eine wesentliche
Änderung nahm man erst für das hohe Mittelalter an. Die althergebrachte Aristo-
kratie habe sich von einer „classe de fait" zu einem Adel als „classe de droit" (oder
„classe de loi") entwickelt. Paul Guilhiermoz hat diese Ansicht bereits 1902 in
einer grundlegenden Arbeit formuliert^; Marc Bloch führte sie in seinem berühmt
gewordenen Werk über die Feudalgesellschaft fort. Blochs Perspektive entsprach
in wesentlichen Teilen der älteren deutschen Forschung; auch er definierte Adel
als Rechtsstand. Die Klassenunterschiede der taciteischen Zeit haben nach Bloch
die Völkerwanderung nicht überlebt. Von einigen Ausnahmen abgesehen (Bayern,
Sachsen) waren die neuen Königreiche ohne Adel. Alte Sippen lokaler Anführer,
etwa die Edelinge, verloren ihre Rolle, als die Monarchie Gestalt annahm. Der
Adel sei im Abendland eine späte Erscheinung. Seine Umrisse zeichneten sich
nicht vor dem 12. Jahrhundert ab, wenn man diejenigen als adlig betrachte, die
mehrere Generationen adliger Vorfahren nachweisen konnten. Bis ins 9. Jahrhun-
dert aber ließen sich die wenigsten Adelsfamilien zurückverfolgen, vor 800 herr-
sche undurchdringliche Finsternis. Zur Zeit Chlodwigs waren demnach nur die
Merowinger adlig^k Die Unterschiede zwischen den Freien beruhten auf Unter-
schieden des Besitzes und der Macht. Leistung und - vor allem - Besitz sah Bloch
als Kriterien der Entstehung von Adel. Der Adlige war für ihn vor allem ein
Grundherr, der von der Ausbeutung anderer lebte. Im 9. und 10. Jahrhundert be-
lem; DERS., Entstehung. Zur Einschätzung der DDR-Forschung aus bundesdeutscher Sicht vgl. SEGL,
Mittelalterforschung, S. 112-148; BORGOLTE, Sozialgeschichte, S. 93-118.
106 Vgl. die Beiträge in MÜLLER-MERTENS, Feudalismus; TÖPFER, Feudalgesellschaft.
107 Vgl. MÜLLER-MERTENS, Regnum, S. 323-328; DERS., Feudalismus, S. 20ff.; BORGOLTE, Generation, S.
24f.
108 Dies wird insbesondere bei jenen deutschen Autoren deutlich, die den militärischen Aspekt und
damit auch die Rolle des Rittertums näher untersuchten. Vgl. etwa DELBRÜCK, Kriegskunst, Bd. 3, S.
239-249. Zu den Parallelitäten vgl. auch IRSIGLER, Untersuchungen, S. 72f.
109 GUILHIERMOZ, Essai.
110 Vgl. BLOCH, Feudalgesellschaft, S. 341-344.
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piell in Frage gestellt wurde, verwickelte sich die DDR-Mediävistik in umfangrei-
che interne Debatten um die Fragen der Periodengrenzen und der Wurzeln der
adligen GrundherrschafWk Eckhard Müller-Mertens, der die römischen Wurzeln
der mittelalterlichen Grundherrschaft stark betonte, kam sogar zu der Auffassung,
daß man für die Übergangszeit zwischen Antike und Mittelalter von Produktions-
verhältnissen sui generis sprechen müsset. Unbestritten blieb aber die Rolle des
Grundbesitzes, da die Prämisse, daß die ökonomische Basis die Gesellschaftsstruk-
tur bestimme, nicht bezweifelt wurde. Die Bedeutung der königlichen Ämter trat
in dieser Perspektive zurück.
Mit der älteren Sicht ebenfalls kompatibel war die Auffassung der französi-
schen Forschung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts^. Im Hintergrund stand
dabei die Vorstellung, daß sich die oberste Gesellschaftsschicht vor allem durch
die Größe des Besitzes von der restlichen Bevölkerung abhob. Eine wesentliche
Änderung nahm man erst für das hohe Mittelalter an. Die althergebrachte Aristo-
kratie habe sich von einer „classe de fait" zu einem Adel als „classe de droit" (oder
„classe de loi") entwickelt. Paul Guilhiermoz hat diese Ansicht bereits 1902 in
einer grundlegenden Arbeit formuliert^; Marc Bloch führte sie in seinem berühmt
gewordenen Werk über die Feudalgesellschaft fort. Blochs Perspektive entsprach
in wesentlichen Teilen der älteren deutschen Forschung; auch er definierte Adel
als Rechtsstand. Die Klassenunterschiede der taciteischen Zeit haben nach Bloch
die Völkerwanderung nicht überlebt. Von einigen Ausnahmen abgesehen (Bayern,
Sachsen) waren die neuen Königreiche ohne Adel. Alte Sippen lokaler Anführer,
etwa die Edelinge, verloren ihre Rolle, als die Monarchie Gestalt annahm. Der
Adel sei im Abendland eine späte Erscheinung. Seine Umrisse zeichneten sich
nicht vor dem 12. Jahrhundert ab, wenn man diejenigen als adlig betrachte, die
mehrere Generationen adliger Vorfahren nachweisen konnten. Bis ins 9. Jahrhun-
dert aber ließen sich die wenigsten Adelsfamilien zurückverfolgen, vor 800 herr-
sche undurchdringliche Finsternis. Zur Zeit Chlodwigs waren demnach nur die
Merowinger adlig^k Die Unterschiede zwischen den Freien beruhten auf Unter-
schieden des Besitzes und der Macht. Leistung und - vor allem - Besitz sah Bloch
als Kriterien der Entstehung von Adel. Der Adlige war für ihn vor allem ein
Grundherr, der von der Ausbeutung anderer lebte. Im 9. und 10. Jahrhundert be-
lem; DERS., Entstehung. Zur Einschätzung der DDR-Forschung aus bundesdeutscher Sicht vgl. SEGL,
Mittelalterforschung, S. 112-148; BORGOLTE, Sozialgeschichte, S. 93-118.
106 Vgl. die Beiträge in MÜLLER-MERTENS, Feudalismus; TÖPFER, Feudalgesellschaft.
107 Vgl. MÜLLER-MERTENS, Regnum, S. 323-328; DERS., Feudalismus, S. 20ff.; BORGOLTE, Generation, S.
24f.
108 Dies wird insbesondere bei jenen deutschen Autoren deutlich, die den militärischen Aspekt und
damit auch die Rolle des Rittertums näher untersuchten. Vgl. etwa DELBRÜCK, Kriegskunst, Bd. 3, S.
239-249. Zu den Parallelitäten vgl. auch IRSIGLER, Untersuchungen, S. 72f.
109 GUILHIERMOZ, Essai.
110 Vgl. BLOCH, Feudalgesellschaft, S. 341-344.