38
Kapitel 1
ten^i. Damit erschienen Grundherrschaften, die zahlreiche Rechte verschiedenen
Ursprungs entfaltet haben, zumindest zum Teil als Grundlage mittelalterlicher
Immunitäten. Königliche Immunitätsverleihungen bestätigten demnach nur den
Status quo und hatten keineswegs zwangsläufig zur Folge, daß sich deren Inhaber
durchsetzen konnte. Anknüpfen konnte Aubin an Dopsch, aber auch an Seeligers
Lehre von den Bannherrschaften.
Hans Hirsch begründete die Ansicht, daß die Trennung zwischen hoher und
niederer Gerichtsbarkeit, die die ältere Forschung zumindest auf Maßnahmen
Karls des Großen zurückgeführt hatte, im 10. und 11. Jahrhundert noch keine Rolle
spielte, sondern erst im Zuge der Ausbreitung der Sühnegerichtsbarkeit seit dem
12. Jahrhundert entstand, als sich mit dem Übergang von der Kompositionsge-
richtsbarkeit zu peinlichen Strafen die Blutsgerichtsbarkeit entwickelte^. Diese sei
im 12. Jahrhundert bei den Hintersassen kirchlicher Immunitätsgebiete vom Gra-
fen zunehmend an die Vögte übergegangen. Diese neue, „adlige" Form der Ge-
richtsbarkeit sei nicht als Usurpation königlicher Rechte aufzufassen, sondern
„autogen" entstanden. Das Ziel der Könige, die Blutsgerichtsbarkeit von der Leihe
des Königsbanns abhängig zu machen, sei demnach nicht als der Versuch zu ver-
stehen, alte, ursprünglich vom Königtum stammende Rechte weiterhin unter der
Kontrolle des Herrschers zu halten, sondern als das Bemühen, selbständig ent-
standene Gerichtsbarkeitsrechte überhaupt erst durch die Königsherrschaft zu
erfassen. Gelungen sei dies allerdings nicht immer, spätestens in nachstaufischer
Zeit sei diese Rechtskonstruktion rasch ausgehöhlt oder ignoriert worden. Hirsch
betonte insbesondere die Möglichkeit des Adels, etwa durch Burgenbau auf dem
Gebiet der bevogteten Kirche den Zugriff auf Kirchenbesitz zu erlangen.
Die Annahme einer einheitlichen, aus der gräflichen Gewalt erwachsenen
Hochgerichtsbarkeit war demnach nicht mehr akzeptabel. In ihrer im 13. Jahrhun-
dert zur Blutsgerichtsbarkeit umgebildeten Form hatte die Gerichtshoheit nicht
vom König stammende Elemente aufgenommen, die von Land zu Land unter-
schiedlich waren. Zwangsläufig rückten in dieser Perspektive die „autogenen"
Rechte der Adligen in den Mittelpunkt, und so sprach Hirsch von der „aristokrati-
schen Organisation der mittelalterlichen Reichsverfassung". Im hohen Mittelalter
habe bis zur Zeit Heinrichs IV. der Hochadel alle Ämter bekleidet; die Hochge-
richtsbarkeit sei nicht allein das Resultat einer vom König abzuleitenden Grafen-
gewalt, sondern im 10. bis zum 12. Jahrhundert auch von unten entstanden als
Steigerung leib herrlicher Gewalt in Immunitätsgebieten, wo sich die Vogtsge-
richtsbarkeit zur Grafenebenbürtigkeit entwickelte. Hirsch hob noch Kontinuitäten
zu den alten Hundertschaftsbezirken hervor und fand damit Anklang etwa bei
131 Vgl. AUBIN, Entstehung, S. 224.
132 Vgl. HIRSCH, Gerichtsbarkeit, zusammenfassend S. 221-238.
Kapitel 1
ten^i. Damit erschienen Grundherrschaften, die zahlreiche Rechte verschiedenen
Ursprungs entfaltet haben, zumindest zum Teil als Grundlage mittelalterlicher
Immunitäten. Königliche Immunitätsverleihungen bestätigten demnach nur den
Status quo und hatten keineswegs zwangsläufig zur Folge, daß sich deren Inhaber
durchsetzen konnte. Anknüpfen konnte Aubin an Dopsch, aber auch an Seeligers
Lehre von den Bannherrschaften.
Hans Hirsch begründete die Ansicht, daß die Trennung zwischen hoher und
niederer Gerichtsbarkeit, die die ältere Forschung zumindest auf Maßnahmen
Karls des Großen zurückgeführt hatte, im 10. und 11. Jahrhundert noch keine Rolle
spielte, sondern erst im Zuge der Ausbreitung der Sühnegerichtsbarkeit seit dem
12. Jahrhundert entstand, als sich mit dem Übergang von der Kompositionsge-
richtsbarkeit zu peinlichen Strafen die Blutsgerichtsbarkeit entwickelte^. Diese sei
im 12. Jahrhundert bei den Hintersassen kirchlicher Immunitätsgebiete vom Gra-
fen zunehmend an die Vögte übergegangen. Diese neue, „adlige" Form der Ge-
richtsbarkeit sei nicht als Usurpation königlicher Rechte aufzufassen, sondern
„autogen" entstanden. Das Ziel der Könige, die Blutsgerichtsbarkeit von der Leihe
des Königsbanns abhängig zu machen, sei demnach nicht als der Versuch zu ver-
stehen, alte, ursprünglich vom Königtum stammende Rechte weiterhin unter der
Kontrolle des Herrschers zu halten, sondern als das Bemühen, selbständig ent-
standene Gerichtsbarkeitsrechte überhaupt erst durch die Königsherrschaft zu
erfassen. Gelungen sei dies allerdings nicht immer, spätestens in nachstaufischer
Zeit sei diese Rechtskonstruktion rasch ausgehöhlt oder ignoriert worden. Hirsch
betonte insbesondere die Möglichkeit des Adels, etwa durch Burgenbau auf dem
Gebiet der bevogteten Kirche den Zugriff auf Kirchenbesitz zu erlangen.
Die Annahme einer einheitlichen, aus der gräflichen Gewalt erwachsenen
Hochgerichtsbarkeit war demnach nicht mehr akzeptabel. In ihrer im 13. Jahrhun-
dert zur Blutsgerichtsbarkeit umgebildeten Form hatte die Gerichtshoheit nicht
vom König stammende Elemente aufgenommen, die von Land zu Land unter-
schiedlich waren. Zwangsläufig rückten in dieser Perspektive die „autogenen"
Rechte der Adligen in den Mittelpunkt, und so sprach Hirsch von der „aristokrati-
schen Organisation der mittelalterlichen Reichsverfassung". Im hohen Mittelalter
habe bis zur Zeit Heinrichs IV. der Hochadel alle Ämter bekleidet; die Hochge-
richtsbarkeit sei nicht allein das Resultat einer vom König abzuleitenden Grafen-
gewalt, sondern im 10. bis zum 12. Jahrhundert auch von unten entstanden als
Steigerung leib herrlicher Gewalt in Immunitätsgebieten, wo sich die Vogtsge-
richtsbarkeit zur Grafenebenbürtigkeit entwickelte. Hirsch hob noch Kontinuitäten
zu den alten Hundertschaftsbezirken hervor und fand damit Anklang etwa bei
131 Vgl. AUBIN, Entstehung, S. 224.
132 Vgl. HIRSCH, Gerichtsbarkeit, zusammenfassend S. 221-238.