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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0100

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96

Kapitel 1

statistischem Material zu unterfüttern^k Genau hier liegen die Ursachen etwa für
die Schwierigkeiten, Zahl und Bedeutung der Freien im Frankenreich zu ermitteln.
Durchaus einleuchtende Ansätze wie jener von Ernst Pitz, die Gesellschaft anhand
des Kriteriums „Verfügung über Bauernstellen" zu strukturieren, treffen hier auf
prinzipielle Grenzen^.
So wurde die Frage, mit welchen Kriterien die Gesellschaft des Mittelalters
strukturiert werden könnte, erst am Ende der sechziger Jahre wieder aufgeworfen;
daß dies in Zusammenhang mit den Fferausforderungen einer modernen Sozialge-
schichte geschah, liegt auf der Hand. Karl Bosl sprach 1966 in Frankreich auf einer
Tagung, auf der explizit der Frage nachgegangen werden sollte, mit welchen Ka-
tegorien die mittelalterliche Gesellschaft zu untersuchen sei, zu den Grundbegrif-
fen Kaste, Klasse und Stande Bosl stellte dabei die originelle These auf, daß man
für die Zeit vor dem 12. Jahrhundert von einer Leibeigenenklasse, einem Herren-
stand und einer Priesterkaste sprechen sollte. Diese Auffassung traf allerdings
nicht nur wegen ihrer Übernahme von „fertigen" Begriffen auf wenig Zustim-
mung, noch irritierender war, daß diese Termini nicht zum selben Gesellschafts-
modell gehörten. Ohne Einbettung in einen Kontext, der Aussagen über die Ge-
samtgesellschaft zuläßt, sagen solche Bemühungen wenig aus.
Michael Mitterauer hat sich 1977 mit den Problemen der Stratifikation in mit-
telalterlichen Gesellschaftssystemen beschäftigt und sich dabei besonders dem
Schichtenbegriff zugewandt, den er ebenfalls der Soziologie entnahm^. Als Indi-
kator für die Zugehörigkeit zu einer Schicht wertete Mitterauer also das Vorliegen
eines objektiven Merkmals, das von Zeitgenossen subjektiv bewertet worden ist.
Die Folgen dieser Verfahrensweise liegen auf der Hand: Auch Mitterauer sah das
Selbstverständnis der Zeitgenossen als wesentlichen Faktor der Modellbildung für
die Sozialstrukturanalyse an. Im Mittelalter habe keine Gesamtgesellschaft exi-
stiert, da Großsysteme, die man mit den neuzeitlichen Ländern und Staaten ver-
gleichen könne, fehlten. Folglich sei der Schicht-Begriff kaum verwendbar.
„Machtschichtung setzt eine Mehrzahl machtgleicher Personen voraus. Einzelherr-
schaft innerhalb eines Sozialgefüges schließt damit Schichtung aus"^°. Die mittel-
alterliche Gesellschaft beschrieb Mitterauer als ein „Gefüge einander über- bzw.
untergeordneter, in sich relativ geschlossener Kleinverbände"^. Als die beiden
Grundtypen nannte er die am Haus oder an der Familie orientierten, vorwiegend
herrschaftlich strukturierten Verbände, die man nicht als geschichtete Sozialform

506 Vgl. dazu treffend VOLLRATH, Deutsche Geschichte, S. 26.
507 Vgl. PlTZ, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 37.
508 Vgl. BOSL, Kasten. Zur Diskussion vgl. MOUSNIER, Problemes, S. 24-29.
509 Vgl. MITTERAUER, Probleme; vgl. auch DERS., Soziale Strukturen.
510 MITTERAUER, Probleme, S. 32.
511 MlTTERAUER, Probleme, S. 32.
 
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