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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0099

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Adelsforschung - Wurzeln und Kontexte

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diesen Ansatz als Methode der Rechtshistorie zwar noch einmal verteidigt und
darauf hingewiesen, daß damit immerhin die Sicht der Zeitgenossen erfaßt wer-
den kamAA die zentrale Konsequenz dieser Verfahrensweise liegt allerdings auf
der Hand: Die Frage nach der Sicht der Zeitgenossen führt zu einer generellen
Skepsis gegenüber gesamtgesellschaftlichen Analysen, da man darauf verweisen
kann, daß die Zeitgenossen diesen Bezugsrahmen nicht kannten: „Eine 'Gesamtge-
sellschaft' von ausreichendem Zusammenhalt, genügender Einheitlichkeit und
einem Mindestmaß an Bewußtsein von sich selbst" habe es im Mittelalter nicht
gegeben^.
Diese Zweifel waren letztlich auch das Resultat der zunehmenden Bedeutung,
die landesgeschichtlichen Ansätzen zugeschrieben wurde. Tatsächlich ist es nicht
möglich, durch die Addition landes- oder regionalgeschichtlicher Untersuchungen
eine Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters zu schreiben. Dies allerdings liegt
nicht nur an den immer wieder behaupteten großen regionalen Unterschieden (die
es ohne Zweifel gegeben hat), sondern vielleicht in noch höherem Maße daran,
daß unterschiedliche Modellbildungen der Historiker zumeist unbewußt als Aus-
gangspunkt solcher Analysen dienen. Schon die Kontroverse zwischen Düngern
und Schulte hat dies gezeigt; daß noch nicht einmal die Bände des Bayerischen
Geschichtsatlasses zu einem logisch schlüssigen Gesamtbild führen, unterstreicht
das Problem nur. Daraus hat sich eine gewisse Abneigung der Mediävistik entwi-
ckelt, allgemeinere Aussagen über größere Räume und Zeiträume zu machen.
Peter Moraw hat zweifellos recht, daß allgemeine Aussagen ihren Urheber immer
ins Unrecht setzen^; die Frage ist nur, ob man auf abstraktere Hypothesen und
Modelle zugunsten von immer mehr Einzeluntersuchungen verzichten will und
soll.
Offensichtlich liegt hier ein grundsätzliches Problem vor. Tatsächlich lassen
sich Gesellschaften, die immer soziale Konstrukte sind, mit unterschiedlichen
Modellen beschreiben, die jeweils bestimmte Aspekte in den Vordergrund rücken,
andere aber vernachlässigen. So betrachtet sind die von Oexle untersuchten Deu-
tungsschemata ebenfalls als Modell zu verstehen, das sich von heutigen Modellen
nur dadurch unterscheidet, daß es auf Überlegungen der Zeitgenossen beruht und
normative Implikationen umfaßt. Daneben allerdings sind natürlich auch Aussa-
gen über die mittelalterliche Gesellschaft möglich, die nicht mit der Sicht der Zeit-
genossen identisch sein müssen. Das Problem für die frühmittelalterlichen Ver-
hältnisse besteht allerdings darin, die unterschiedenen Gesellschaftskategorien mit

503 VgL SCHILD, Ordnungsdenken. Stefan WEISS, Brunner, wies unlängst mit Recht darauf hin, daß die
Denkfigur des „Ganzen Hauses" durchaus zum wissenschaftlichen Instrumentarium der Wirt-
schaftsgeschichte zur Zeit Brunners gehörte.
504 MORAW, Verfassung, S. 67; vgl. ebenso OEXLE, Adalbero, S. 3.
505 Vgl. MORAW, Verfassung, S. 66.
 
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