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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0107

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Verfügung stand; der Begriff der Gesellschaft als einer Gesamtheit aller sozialen
und ökonomischen Prozesse war jenen Menschen fremd"^?.
Neben den Gruppen, die auf freiwilligem Zusammenschluß beruhen und (nach
Georg Simmel) als eine Form der Vergesellschaftung von Individuen auf der Basis
gemeinsamer Interessen aufzufassen seien, gebe es auch natürliche Gruppen. Der
Adel bestehe aus solchen natürlichen Gruppen, die durch reale oder imaginierte
Verwandtschaft definiert werden^. Michael Borgolte hat davon gesprochen, daß
Oexle nach Karl Bosls „strukturgeschichtlicher" Konzeption den einzigen neuen
Ansatz zur Untersuchung des sozialen Gesamtgefüges entworfen haWL
Im Lichte dieser Perspektive werden epochenübergreifende Kontexte erkenn-
bar. Anknüpfen konnte Oexle etwa an Thorstein Veblen oder an Max Weber, die
Oberschicht bzw. Adel jeweils auch als Bewußtseinsphänomene definiert hatten.
Thorstein Veblen hatte als Kennzeichen der Oberschicht hervorgehoben, daß ihre
Angehörigen zur sichtbaren Darstellung des Reichtums gezwungen waren^o. Daß
demonstrativer Müßiggang und Konsum, verbunden mit verfeinerten Lebensfor-
men, auch für den mittelalterlichen Adel festgestellt werden können, hat dazu
geführt, daß man sich in neuerer Zeit verstärkt mit solchen Themen beschäftigt. So
wird etwa die adlige Jagd im Mittelalter auch als Demonstration des sozialen Sta-
tus verstandenes Max Weber, dessen Definition von „Stand" nicht durch rechtli-
che Kriterien, sondern durch Bewußtsein und soziale Wertschätzung geprägt
wird, hat als Erfordernis einer herrschaftlichen („ritterlichen") Lebensführung die
Meidung jeder von der Waffenübung abziehenden und entehrenden Erwerbsar-
beit betrachtet und das Bedürfnis nach Glanz und imponierender Pracht, nach
„schönen Gebrauchsobjekten", hervorgehoben und die Lebensweise als Machtin-
strument zur Behauptung der Herrenstellung durch Massensuggestion bezeich-
net^. Die Unterscheidung zwischen einer bürgerlichen und einer adligen Le-
bensweise ist zu umfassenderen Theorien ausgebaut worden. Dies gilt natürlich
insbesondere für Norbert Elias, der für die Verhältnisse des späten Mittelalters
und der frühen Neuzeit grundsätzlich zwischen dem beruflichen Ethos des Bür-
gertums und der höfisch-aristokratischen Haltung unterschied. Das bürgerliche
Ethos des Sparens für den künftigen Gewinn sei dem adligen Prestigeverbrauch

557 OEXLE, Dreiteilung bei Adalbero, S. 3.
558 Vgl. OEXLE, Soziale Gruppen, S. 19.
559 Vgl. BORGOLTE, Sozialgeschichte, S. 148f., 152, 457-463, 465f., 479, ferner S. 203-207. Vgl. dazu pro-
grammatisch OEXLE, Mediävisten.
560 Vgl. VEBLEN, Theorie.
561 Vgl. NELSON, The Lord's anointed, S. 169; JARNUT, fagd; RÖSENER, Jagd, S. 40-48; MORSEL, Jagd. Vgl.
dazu aber auch die abweichende Ansicht von FENSKE, Jagd, S. 47, der in den Quellen nur Hinweise
auf „Jagdliebe, Jagdlust, Jagdleidenschaft oder gar Jagdbesessenheit" fand. Zum Problem vgl. ver-
mittelnd RÖSENER, König, S. 34.
562 Vgl. M. WEBER, Wirtschaft, S. 633, 651.
 
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