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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0141

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Die Merowingerzeit

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Herrschaftsrechten über Menschen für die Entstehung der Grundherrschaft, wäh-
rend Rechte über Grund und Boden als Ausgangspunkt der Herrschaftsbildung
als römisches Erbe verstanden werden können.
Natürlich kann dieses Modell allenfalls idealtypisch zur Erklärung der Genese
von Grundherrschaften verwendet werden. Kontinuitätstheorien für die konkrete
Form der klassischen mittelalterlichen Grundherrschaft sind durch die Untersu-
chungen von Adriaan Verhulst stark eingeschränkt worden. Die sogenannte klas-
sische (Betriebs)Grundherrschaft des Mittelalters mit ihrer Zweiteilung des Landes
in selbst bebautes Herrenland und ausgegebene Hufen, die von Bauern unter-
schiedlichen Rechtsstandes gegen Abgaben und Dienste bewirtschaftet wurden,
dürfte nach Verhulst ein Produkt der Karolingerzeit seinW Sie entstand zwischen
dem Ende des 7. und dem 9. Jahrhundert in den zentralen Regionen des Franken-
reichs zwischen Loire und Rhein, wo leichte und fruchtbare Lehm- und Lößböden
eine getreidebauintensive Landwirtschaft ermöglichten. König und Kirche wies
Verhulst dabei eine Vorreiterrolle zu; die Rolle des Laienadels bleibe aus Quellen-
gründen unbekannt. Ausgebreitet habe sich diese Form der Grundherrschaft nur
langsam^.
Anders wird man die Kontinuitäten jedoch einschätzen, wenn man den neue-
ren Theorien über die Bedeutung der Kontinuität spätantik-römischer Strukturen
im Bereich der Staatlichkeit folgt. Die Deutung der Quellenbegriffe im steuerrecht-
lichen Sinn, wie sie Magnou-Nortier und Durliat vorgeschlagen haben, hat natür-
lich Folgen für die Einschätzung der Wirtschaftsform im fränkischen Reich. In
dieser Perspektive müßte man davon ausgehen, daß die öffentliche Finanzverwal-
tung bis in die Karolingerzeit weiter existierte. Adlige wären demnach zuallererst
die Inhaber öffentlich-rechtlicher Befugnisse, die insbesondere für die Erhebung
von Steuern zuständig waren. Als Grundbesitzer waren sie für die Grundsteuer,
als Herrscher über Menschen für die Kopfsteuer verantwortlich. Von den persön-
lich freien Kolonen seien Steuern und Abgaben, von den Hörigen nur Abgaben
erhoben worden. Diese Einschätzung ist kompatibel mit der Sicht, daß der Adel
ein Monopol auf die öffentlichen Ämter und Aufgaben hatte; die (wenigen) Auf-
steiger seien integriert worden.
Das Problem dieser Sicht liegt natürlich in der Interpretation der Quellenbegrif-
fe wie coiozzzzs, zfzazzcz'pz'tZTtz oder scruzzs. So sah Durliat im Kolonen einen Freien, der
zu Abgaben verpflichtet war; die Sklaverei habe kaum eine Rolle gespieltW Diese
Deutung kann zwar an ältere Thesen anknüpfen, dürfte allerdings kaum als herr-

197 VERHULST, La genese; zur folgenden Forschung DERS., La diversite.
198 Zur Forschung vgl. GOETZ, Grundherrschaften, bes. S. 67ff.
199 Vgl. DURLIAT, Finances publiques, 175-179.
 
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