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Kapitel 2
setzgebung" der fränkischen Könige vertritt heute etwa auch Wolfgang Sellert im
Hinblick auf die Lex Salica, ohne allerdings von einer Nivellierungspolitik der
Könige auszugehen^L
Die extremste Auffassung im Rahmen der Adelsherrschaftstheorie formulierte
Reinhard Wenskus. Seiner Ansicht nach galt die Lex nicht für die gesamte Gesell-
schaft. Wenskus verwies auf nordische Quellen, insbesondere auf die Erzählung
isländischer Sagas, wonach ein Mann es ablehnte, „seinen Vater im Beutel zu tra-
gen"3G und zog daraus den Schluß, daß der Adel kein Wergeid genommen habe.
Als eine der zentralen Stützen dieser These betrachtete Wenskus die Vorstellung
von der germanischen Kontinuität des adligen Erbcharismas. Selbstverständlich
fand diese Argumentation Zuspruch bei jenen Autoren, die die Existenz eines
Adels auch für die Frühzeit annehmen wollten, etwa bei Franz IrsigleL^s und na-
türlich auch bei Karl BosR39. Bosl verknüpfte diese Sicht mit der Königsfreientheo-
rie: Die Wergeidbestimmungen der Lex seien nur für „die Beherrschten" gedacht
gewesen, während „die Herrschenden", also mithin der gesamte Adel, keine ge-
setzlichen Maßnahmen zum Schutz der Person brauchten. Die Volksrechte „be-
zwecken den Schutz der arbeitenden und produzierenden Bevölkerung und der
Geistlichen"^.
Letztlich konnte die Frage, für wen denn die Lex Salica eigentlich gegolten ha-
be, auch zu weiteren Zweifeln über die Aussagekräftigkeit der darin enthaltenen
Wergeidbestimmungen für die Analyse der fränkischen Sozialstruktur führen. So
wurde das Problem aufgeworfen, was man sich denn eigentlich unter den Prurzcz
der Lex vorzustellen habe. Bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts zweifelte Go-
defroid Kurth an einer ethnischen Bedeutung des Begriffs^^. Seine Meinung, hier
handle es sich allgemein um die Bewohner der Francia, traf natürlich auf die Kritik
der eher in ethnischen Kategorien denkenden deutschen Forschung. Eberhard
Otto hat Kurths Ansichten explizit abgelehnLA Als allerdings die Mediävistik im
Hinblick auf die tatsächliche Bedeutung ethnischer Einheiten in der frühmittelal-
terlichen Geschichte immer skeptischer wurde, fanden alternative Deutungsvor-
schläge breitere Beachtung, wenngleich von einem Konsens in der heutigen For-
schung keine Rede sein kann. Wenn man mit Karl Ferdinand Werner die Vorstel-
lung, daß die Prsncz als eine ethnische Einheit zu verstehen seien, ablehnt und den
336 Vgl. SELLERT, Aufzeichnung; dazu die Kritik von SIEMS, Textbearbeitung, und WEITZEL, Strafe, S.
140f.
337 Vgl. WENSKUS, Stammesbildung, S. 333f.; DERS., Amt, S. 41ff. Zur Sache vgl. bereits O. BRUNNER,
Land, S. 22.
338 Vgl. IRSIGLER, Untersuchungen, S. 70f.
339 Vgl. BOSL, Volksrechte, S. 138.
340 K. BOSL, in: AUBIN/ZORN, Handbuch, S. 164, vgl. auch S. 155.
341 Vgl. KURTH, Etudes, Bd. 2, S. 89ff. -
342 Vgl. Omo, Adel, S. 97-101.
Kapitel 2
setzgebung" der fränkischen Könige vertritt heute etwa auch Wolfgang Sellert im
Hinblick auf die Lex Salica, ohne allerdings von einer Nivellierungspolitik der
Könige auszugehen^L
Die extremste Auffassung im Rahmen der Adelsherrschaftstheorie formulierte
Reinhard Wenskus. Seiner Ansicht nach galt die Lex nicht für die gesamte Gesell-
schaft. Wenskus verwies auf nordische Quellen, insbesondere auf die Erzählung
isländischer Sagas, wonach ein Mann es ablehnte, „seinen Vater im Beutel zu tra-
gen"3G und zog daraus den Schluß, daß der Adel kein Wergeid genommen habe.
Als eine der zentralen Stützen dieser These betrachtete Wenskus die Vorstellung
von der germanischen Kontinuität des adligen Erbcharismas. Selbstverständlich
fand diese Argumentation Zuspruch bei jenen Autoren, die die Existenz eines
Adels auch für die Frühzeit annehmen wollten, etwa bei Franz IrsigleL^s und na-
türlich auch bei Karl BosR39. Bosl verknüpfte diese Sicht mit der Königsfreientheo-
rie: Die Wergeidbestimmungen der Lex seien nur für „die Beherrschten" gedacht
gewesen, während „die Herrschenden", also mithin der gesamte Adel, keine ge-
setzlichen Maßnahmen zum Schutz der Person brauchten. Die Volksrechte „be-
zwecken den Schutz der arbeitenden und produzierenden Bevölkerung und der
Geistlichen"^.
Letztlich konnte die Frage, für wen denn die Lex Salica eigentlich gegolten ha-
be, auch zu weiteren Zweifeln über die Aussagekräftigkeit der darin enthaltenen
Wergeidbestimmungen für die Analyse der fränkischen Sozialstruktur führen. So
wurde das Problem aufgeworfen, was man sich denn eigentlich unter den Prurzcz
der Lex vorzustellen habe. Bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts zweifelte Go-
defroid Kurth an einer ethnischen Bedeutung des Begriffs^^. Seine Meinung, hier
handle es sich allgemein um die Bewohner der Francia, traf natürlich auf die Kritik
der eher in ethnischen Kategorien denkenden deutschen Forschung. Eberhard
Otto hat Kurths Ansichten explizit abgelehnLA Als allerdings die Mediävistik im
Hinblick auf die tatsächliche Bedeutung ethnischer Einheiten in der frühmittelal-
terlichen Geschichte immer skeptischer wurde, fanden alternative Deutungsvor-
schläge breitere Beachtung, wenngleich von einem Konsens in der heutigen For-
schung keine Rede sein kann. Wenn man mit Karl Ferdinand Werner die Vorstel-
lung, daß die Prsncz als eine ethnische Einheit zu verstehen seien, ablehnt und den
336 Vgl. SELLERT, Aufzeichnung; dazu die Kritik von SIEMS, Textbearbeitung, und WEITZEL, Strafe, S.
140f.
337 Vgl. WENSKUS, Stammesbildung, S. 333f.; DERS., Amt, S. 41ff. Zur Sache vgl. bereits O. BRUNNER,
Land, S. 22.
338 Vgl. IRSIGLER, Untersuchungen, S. 70f.
339 Vgl. BOSL, Volksrechte, S. 138.
340 K. BOSL, in: AUBIN/ZORN, Handbuch, S. 164, vgl. auch S. 155.
341 Vgl. KURTH, Etudes, Bd. 2, S. 89ff. -
342 Vgl. Omo, Adel, S. 97-101.