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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0167

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che Zeit aufzuweisenW Heinrich Mitteis meinte in seinem grundlegenden Beitrag
über Formen der Adelsherrschaft im Mittelalter, daß der „Kult der adligen Sip-
penhäupter" in christlicher Form andauerte^. Der Adel habe ein dem Königtum
vergleichbares Erbcharisma besessen^. Diese Sicht beherrschte die Handbücher
bis in die jüngere Zeit. Gerd Tellenbach hat Haucks Vorstellung in seiner Gesamt-
darstellung der frühmittelalterlichen Geschichte übernommenem, Josef Flecken-
stein sprach von einem Adelsbegriff, dessen Steigerung auf Grade eines „blutsge-
bundenen Heils" zurückzuführen sei, wobei das Königsheil die höchste Stufe ge-
bildet habe^o. Eduard Hlawitschka meinte, daß die Unangefochtenheit der Stel-
lung des Adels in Kirche und Welt letztlich nur durch den aus vorchristlicher Zeit
stammenden, immer noch nachwirkenden Mythos eines besonderen Heils der
Adligen zu erklären seHE
Ohne Probleme ist diese Theorie allerdings nicht. Die Vorstellung, daß „Heils-
vorstellungen" dieser Art eine besonders bedeutende Rolle im germanischen Den-
ken spielten und nicht zuletzt Herrschaft legitimierten, ist nach 1945, als mit dem
Begriff „Heil" wenig erfreuliche Inhalte verbunden wurden, mit einer für die
deutsche Mediävistik nicht untypischen Verzögerung allmählich in die Kritik
geraten. Der zuletzt von Robert Scheyhing an zentraler Stelle formulierte Versuch,
die Gesellschaft nach dem Heil (von Sippen) zu strukturieren, hat zwar mit Vil-
helm Peter Gronbech einen berühmten Vorläufer^ fand allerdings keine weiteren
Nachfolger mehW
Die These von der Existenz eines germanischen Sakralkönigtums geriet zu-
nehmend ins Schußfeld einer Kritik, die nicht zuletzt in marxistisch orientierten
Staaten von Forschern wie Frantisek Graus und Walter Baetke vorgetragen wurde.
Der Zusammenhang mit grundsätzlichen Problemen ist unverkennbar: Die Kritik
an Versuchen, das Königsheil als zentralen Pfeiler der Legitimation königlicher
Herrschaft darzustellen, kam insbesondere von jenen Historikern, die den Entwür-
fen der neuen Verfassungsgeschichte skeptisch gegenüberstanden. Dabei ist weni-
ger umstritten, ob es Vorstellungen dieser Art gegeben hat - auch Graus hat eine
magische Komponente des germanischen Königtums nicht gänzlich ausgeschlos-
sen^ kontrovers diskutiert werden die Fragen, ob man von einem Weiterwirken
solcher Ideen in christlicher Zeit sprechen kann, und, vor allem, welche Bedeutung
376 Vgl. HAUCK, Haus- und sippengebundene Literatur; DERS., Geblütsheiligkeit; ferner DERS., Bedeu-
tung; DERS., Mittellateinische Literatur; DERS., Lebensnormen.
377 MITTEIS, Formen, S. 647.
378 Vgl. MITTEIS, Staat, S. 9; DERS., Formen, S. 644.
379 Vgl. TELLENBACH, Germanen, S. 194.
380 Vgl. FLECKENSTEIN, Entstehung, S. 334.
381 Vgl. HLAWITSCHKA, Frankenreich, S. 42.
382 Vgl. R. SCHEYHING, Adel, in: HRG 1,1971, Sp. 42f.; GRONBECH, Kultur, Bd. 1, S. 105-142.
383 Vgl. dazu aus heutiger Sicht R. SCHNEIDER, Frankenreich, S. 140, der das Modell schlicht als „irrig"
bezeichnet.
384 Vgl. GRAUS, Volk, S. 317; vgl. dazu die Zweifel von KlENAST, Treue, S. 288.
 
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