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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0215

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211

Grundsatzkritik an der Verwendung des Begriffs Lehnswesen für das frühe
Mittelalter hat in jüngerer Zeit Susan Reynolds geäußert^. Das Lehen sei in der
Zeit zwischen 500 und 1300 nur eine von vielen Besitzformen gewesen, die zu-
nächst nichts mit vasallitischen Rechtsbeziehungen zu tun gehabt habe. Die dingli-
che Komponente, das Lehen, und das persönliche Element, das Vasall-Sein, seien
lange nicht als Einheit verstanden worden. Erst die gelehrten Juristen späterer Zeit
hätten diese Verknüpfung vorgenommen. Daraus folgerte Reynolds, daß die Be-
deutung des Lehnswesens für die Gesellschaft im frühen Mittelalter überschätzt
werdet
Reynolds Argumentation beruht auf Beobachtungen, die auch in der älteren Li-
teratur Beachtung gefunden hatten, ohne daß daraus derart weitreichende Folge-
rungen gezogen worden wären. Daß bis ins 12. Jahrhundert unbelehnte Vasallen
nachzuweisen sind, war das Ergebnis einer längerdauernden Kontroverse in der
rechtshistorischen Forschung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts^. Die
Verbindung von persönlicher und dinglicher Komponente galt nach Mitteis bis
zum Ende der Zeit Karls des Großen noch „in keiner Weise als typisch"^, und
Robert Scheyhing hat bemerkt, daß sich „ein Eingehen der persönlichen Verpflich-
tung wegen Überlassung eines Lehens" für die fränkische Zeit quellenmäßig nicht
belegen lasset Umgekehrt hat in jüngerer Zeit Brigitte Kasten an die bereits von
Paul Roth vertretene Auffassung angeknüpft, daß es im 8. und 9. Jahrhundert in
größerem Umfang Lehen ohne Vasallitätsverpflichtungen gegeben habe^E Die
Verknüpfung zwischen dinglicher und persönlicher Seite sei nur in bezug auf das
Königshaus bei Reichsteilungen erkennbares Die Debatte wirft nicht zuletzt Ter-
minologieprobleme bei der Interpretation von Begriffen wie fzomo oder fignc/z'dMW
aufe2.
Die Forderung, deshalb auf die Verwendung des Begriffs Lehnswesen zu ver-
zichten, erscheint allerdings als unnötig. Ähnlich wie im Fall der Grundherrschaft
handelt es sich hier um ein Problem der Begriffsbildung moderner Historiker. Zur
Kennzeichnung eines (vermuteten) Sachverhalts oder Zusammenhangs darf
durchaus ein moderner Begriff verwendet werden, und dies natürlich auch dann,
wenn die Zeitgenossen diesen Zusammenhang vielleicht selbst nicht gesehen oder
systematisch durchdacht haben. Johannes Fried hat darauf hingewiesen, daß die
Verbindung zwischen dinglicher und persönlicher Komponente de facto durchaus

175 Vgl. REYNOLDS, Fiefs.
176 Vgl. dazu auch H.-W. GOETZ, Rezension zu DAVIES/ FOURACRE, Property and power, in: HZ 264,
1999, S. 184. Der Besitz, nicht das Lehnswesen, habe die mittelalterliche Gesellschaft bestimmt.
177 Vgl. dazu nur MITTEIS, Lehnrecht, S. 130f mit Anm. 67.
178 MITTEIS, Lehnrecht, S. 132. Zur Sache vgl. klassisch GANSHOF, Lehnswesen, S. 41-45.
179 Vgl. SCHEYHING, Eid, S. 56 Anm. 168.
180 Vgl. KASTEN, Beneficium. Vgl. dazu bereits ROTH, Geschichte, S. 384f.
181 Vgl. KASTEN, Aspekte, bes. S. 267.
182 Vgl. KASTEN, Aspekte, S. 252.
 
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