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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0411

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Ministerialität

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ist bei einer näheren Betrachtung der Literatur des 19. Jahrhunderts, daß die Rohe,
die man der Ministerialität zuerkannte, recht unmittelbar von der Theorie abhing,
mit der man die Entstehung der hochmittelalterlichen Stadtkommune erklärte. Im
allgemeinen wird man festhalten dürfen, daß die Wertschätzung der Stadt als
Ausdruck deutscher Freiheitstraditionen die eher liberal orientierte Forschung des
19. Jahrhunderts prägte. Eingebettet war diese Sicht im Gesamtbild der deutschen
Geschichte. Nicht nur Otto von Gierke sah in der altgermanischen freien Genos-
senschaft die Grundlage der Stadtgemeinde^; schon Eichhorn hatte die Entste-
hung der Kommune als „Erhaltung der alten angestammten Freiheit" gepriesen^.
Im Hinblick auf die Frage nach den Anfängen des städtischen Meliorats oder Pa-
triziats hatte dies zur Folge, daß die Bedeutung der Ministerialen als gering einge-
schätzt wurde.
Dies war allerdings nicht die einzige Sichtweise dieser Zeit. Der Versuch, die
Entstehung des Stadtrechts aus dem Hofrecht abzuleiten, wie ihn vor allem Karl
Wilhelm Nitzsch unternahm^, führte dazu, daß man gerade der ursprünglich
hofrechtlich gebundenen Ministerialität größere Aufmerksamkeit schenkte; dabei
konnte man durchaus an einige Bemerkungen von Georg Waitz anknüpf en^h Im
Anschluß an Nitzsch vermutete sogar Werner Sombart, daß die Ahnen der städti-
schen Geschlechter häufig Ministeriale waren^k Die Folgerungen waren weitrei-
chend. Paul Sander bemerkte 1906, Nitzsch habe gezeigt, daß die Stadtverfassung,
die man bislang nur als Gegensatz zum Feudalismus gewürdigt habe, selbst aus
dem Feudalprinzip gewachsen sePA
Durchgesetzt hat sich diese Sicht allerdings zunächst nicht. Die Hofrechtstheo-
rie ist sehr scharf von Georg von Below angegriffen worden und wurde gerade
auch für die Untersuchung der Anfänge städtischer Kommunen aufgegeben; noch
Heinrich Mitteis sah darin einen der größten Verdienste Belows. In dessen Theorie
war die Exemtion des städtischen Gerichtsbezirks aus dem öffentlichen Landge-
richtsbezirk der Ausgangspunkt der Stadtverfassung; die Stadtgemeinde habe sich
demzufolge aus der Landgemeinde entwickelt^. Gericht und Gemeinde waren für
Below Charakteristika einer Stadt; in dieser Perspektive mußten konsequenterwei-
se die Freien die zentrale Rolle für die Entstehung von Stadtgemeinden gespielt
haben. In diesem Zusammenhang steht auch die bereits erwähnte Kritik Belows an
der Vorstellung, alle Freien seien in die Grundherrschaften hineingezogen wor-
den.

258 Vgl. GlERKE, Genossenschaftsrecht, Bd. 2, S. 820ff.
259 EICHHORN, Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 42.
260 Vgl. NITZSCH, Ministerialität.
261 Vgl. WAITZ, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 393, 404, 409.
262 Vgl. SOMBART, Kapitalismus, Bd. 1,2, S. 643.
263 Vgl. SANDER, Feudalstaat, S. 5.
264 Vgl. zusammenfassend BELOW, Territorium, S. 209-212; DERS., Staat, S. 91-100. Zu Kontext von
Belows Theorie vgl. CYMOREK, Below, S. 86-110.
 
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