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Kapitel 9
Zwar hat sich auch diese Einschätzung nicht durchgesetzt, doch folgten im
„Geisterzug" der Stadtentstehungstheorien^ seiner Landgemeindetheorie weitere
Modelle, in deren Perspektive die Rolle der städtischen Ministerialen verschwin-
dend gering war. Da diese Ansätze eindeutig vom Liberalismus des 19. Jahrhun-
derts geprägt waren, wurde generell die Rolle der freien Bürger in den Vorder-
grund gerückt. Dies gilt nicht nur für Max Webers Einschätzung der mittelalterli-
chen Stadt, der die Neuartigkeit der Stadtverfassung mit dem Verweis auf die
„nicht-legitime Herrschaft" der Kommune begründete, sondern insbesondere auch
für die sog. Coniuratio-Theorie, die die deutsche Stadtgeschichtsforschung lange
prägte und in der gerade die Rolle des Zusammenschlusses freier Bürger hervor-
gehoben worden ist. Klassisch geworden sind etwa die Werke von Pritz Rörig,
Hans Planitz und Edith Ennen, die insbesondere die Bedeutung der freien Kauf-
leute hervorhoben^k Die „herrschaftlichen" Einflüsse auf die Entstehung der
Kommune gerieten zugunsten der „genossenschaftlichen" Elemente in den Hin-
tergrund. Im Lichte dieser Perspektive erschienen die städtischen Ministerialen als
ein Relikt der ursprünglich bischöflichen, königlichen oder fürstlichen Stadtherr-
schaft, dessen Bedeutung abnahm und das schließlich verschwand, als die Mini-
sterialen entweder im Bürgertum aufgingen oder aber, zusammen mit dem einsti-
gen Stadtherm, aus der Stadt verdrängt wurden. Das Verschwinden des Begriffs
münsfcnahs aus den Quellen schien diesen Befund zu bestätigen.
Einzelstudien erwiesen bisweilen durchaus die Bedeutung der Ministerialen in
den hochmittelalterlichen Städten. Schon Luise Winterfeld und Franz Steinbach
haben für Köln auf dieses Phänomen, wenngleich eher am Rande, hingewiesen;
dasselbe gilt für Friedrich von Klockes Darstellung der führenden Familien
Soests^?.
Als mit dem Sammelband von Rössler über das deutsche Patriziat des späten
Mittelalters die moderne vergleichende Forschung zu diesem Thema begann, ka-
men mehrere Autoren zu ähnlichen Ergebnissen, ohne allerdings weiterreichende
Konsequenzen zu ziehen. So wies etwa Hofmann auf die ritterlich-adlige Lebens-
form des Nürnberger Patriziats hüHk Otto Brunner hob die Bedeutung der Wiener
Ritterbürger hervor^, und Karl Bosl sprach für Regensburg und Augsburg von
einer ritterlich lebenden Oberschicht^". Philippe Dollinger unterschied für die
265 Vgl. KROESCHBLL, Stadtrecht, S. 288.
266 VgL PLANITZ, Stadt; ENNEN, Stadt; RÖRIG, Stadt. Auf dieser Sicht beruht heute noch die Darstellung
von H.K. SCHULZE, Grundstrukturen, Bd. 2, S. 127-205, der demgemäß die städtischen Ministerialen
267 Vgl. WINTERFELD, Handel, S. 6ff.; STEINBACH, Sozialgeschichte, S. 677; KLOCKE, Patriziat, S. 6; ferner
DERS., Untersuchungen, S. 223-227. Zu ähnlichen Problemen in Mainz vgl. ZlLKEN, Geschichte, S. 75.
268 Vgl. HOFMANN, Nobiles. Vgl. dazu auch PFEIFFER, Aufstieg, S. 17.
269 Vgl. O. BRUNNER, Bürgertum und Feudalwelt, S. 496; DERS., Wiener Bürgertum, S. 251; DERS., Bürger-
tum und Adel.
270 Vgl. BOSL, Sozialstruktur; DERS., Entwicklung.
Kapitel 9
Zwar hat sich auch diese Einschätzung nicht durchgesetzt, doch folgten im
„Geisterzug" der Stadtentstehungstheorien^ seiner Landgemeindetheorie weitere
Modelle, in deren Perspektive die Rolle der städtischen Ministerialen verschwin-
dend gering war. Da diese Ansätze eindeutig vom Liberalismus des 19. Jahrhun-
derts geprägt waren, wurde generell die Rolle der freien Bürger in den Vorder-
grund gerückt. Dies gilt nicht nur für Max Webers Einschätzung der mittelalterli-
chen Stadt, der die Neuartigkeit der Stadtverfassung mit dem Verweis auf die
„nicht-legitime Herrschaft" der Kommune begründete, sondern insbesondere auch
für die sog. Coniuratio-Theorie, die die deutsche Stadtgeschichtsforschung lange
prägte und in der gerade die Rolle des Zusammenschlusses freier Bürger hervor-
gehoben worden ist. Klassisch geworden sind etwa die Werke von Pritz Rörig,
Hans Planitz und Edith Ennen, die insbesondere die Bedeutung der freien Kauf-
leute hervorhoben^k Die „herrschaftlichen" Einflüsse auf die Entstehung der
Kommune gerieten zugunsten der „genossenschaftlichen" Elemente in den Hin-
tergrund. Im Lichte dieser Perspektive erschienen die städtischen Ministerialen als
ein Relikt der ursprünglich bischöflichen, königlichen oder fürstlichen Stadtherr-
schaft, dessen Bedeutung abnahm und das schließlich verschwand, als die Mini-
sterialen entweder im Bürgertum aufgingen oder aber, zusammen mit dem einsti-
gen Stadtherm, aus der Stadt verdrängt wurden. Das Verschwinden des Begriffs
münsfcnahs aus den Quellen schien diesen Befund zu bestätigen.
Einzelstudien erwiesen bisweilen durchaus die Bedeutung der Ministerialen in
den hochmittelalterlichen Städten. Schon Luise Winterfeld und Franz Steinbach
haben für Köln auf dieses Phänomen, wenngleich eher am Rande, hingewiesen;
dasselbe gilt für Friedrich von Klockes Darstellung der führenden Familien
Soests^?.
Als mit dem Sammelband von Rössler über das deutsche Patriziat des späten
Mittelalters die moderne vergleichende Forschung zu diesem Thema begann, ka-
men mehrere Autoren zu ähnlichen Ergebnissen, ohne allerdings weiterreichende
Konsequenzen zu ziehen. So wies etwa Hofmann auf die ritterlich-adlige Lebens-
form des Nürnberger Patriziats hüHk Otto Brunner hob die Bedeutung der Wiener
Ritterbürger hervor^, und Karl Bosl sprach für Regensburg und Augsburg von
einer ritterlich lebenden Oberschicht^". Philippe Dollinger unterschied für die
265 Vgl. KROESCHBLL, Stadtrecht, S. 288.
266 VgL PLANITZ, Stadt; ENNEN, Stadt; RÖRIG, Stadt. Auf dieser Sicht beruht heute noch die Darstellung
von H.K. SCHULZE, Grundstrukturen, Bd. 2, S. 127-205, der demgemäß die städtischen Ministerialen
267 Vgl. WINTERFELD, Handel, S. 6ff.; STEINBACH, Sozialgeschichte, S. 677; KLOCKE, Patriziat, S. 6; ferner
DERS., Untersuchungen, S. 223-227. Zu ähnlichen Problemen in Mainz vgl. ZlLKEN, Geschichte, S. 75.
268 Vgl. HOFMANN, Nobiles. Vgl. dazu auch PFEIFFER, Aufstieg, S. 17.
269 Vgl. O. BRUNNER, Bürgertum und Feudalwelt, S. 496; DERS., Wiener Bürgertum, S. 251; DERS., Bürger-
tum und Adel.
270 Vgl. BOSL, Sozialstruktur; DERS., Entwicklung.