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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0540

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536

Kapitel 12

Forschung" ist, allerdings auch hervorgehoben, daß sie auf sich gestellt nicht im-
mer ausreiche, „weil sie ihrer Natur nach zur Isolierung der gewählten Thematik"
neige und deshalb in Gefahr gerate, „bei aller Richtigkeit im einzelnen für einen
größeren Zusammenhang in die Irre zu gehen". Nötig sei auch Begriffskritik, Tra-
ditionskritik und Modellkritikh
Dieser Verweis auf umfassendere Zusammenhänge kann zur Klärung der Hin-
tergründe von Problemen mediävistischer Adelsforschung beitragen. Daß sich in
den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts das Bild von der Gesamt-
entwicklung fränkisch-deutscher Geschichte erheblich wandelte, ist längst schon
hervorgehoben worden. Frantisek Graus hat treffend von einem Paradigmen-
wechsel im Sinne von Thomas Kuhn gesprochen". Der Bedeutungsverlust der
klassischen Rechtsgeschichte zugunsten einer neuen Form der Verfassungsge-
schichte, die den Begriff „Verfassung" in einem viel weiteren Sinn verstand, hatte
einschneidende Folgen sowohl für die wissenschaftliche Terminologie als auch für
die „Gesamtkonzeption"^ des Zeitraums.
Gewandelt haben sich seinerzeit in erster Linie die Prämissen und die Perspek-
tive. Der trivialste Satz der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte dürfte die Fest-
stellung sein, daß es im Mittelalter keine geschriebene Verfassung gab. Schon et-
was weniger trivial sind die Folgen: Der Versuch, die mittelalterliche Verfassung
zu „rekonstruieren", führt grundsätzlich zu einer Konstruktion von Historikern.
Diese ist als induktiv gewonnenes, idealtypisch verdichtetes und logisch konsi-
stentes System von Aussagen zu verstehen, mit dessen Hilfe gewissermaßen eine
Verfassungswirklichkeit ohne zeitgenössisches theoretisches Pendant, das An-
spruch auf allgemeine Verbindlichkeit erheben konnte, erfaßt werden soll. Hier
liegt ein Grund dafür, daß es so schwer ist, den Begriff „Verfassung" für das Mit-
telalter zu definieren und von anderen Untersuchungsgebieten überhaupt abzu-
grenzen. Solche Versuche ergeben stets ein abstraktes Modell, mit dem die Zeitge-
nossen wahrscheinlich eher wenig hätten anfangen können.
Dies wirft mehrere Probleme auf. Cum grano salis läßt sich behaupten, daß seit
jeher das Verhältnis zwischen König, Adel und Volk als archimedischer Punkt der
Verfassungsgeschichtsschreibung betrachtet worden ist. Das dahinterstehende
Grundproblem ist natürlich die für jede Verfassungsgeschichte zentrale Frage, wo
die Quelle legitimer Gewaltanwendung zu suchen ist. Hier zeigt sich die vielleicht
wichtigste Folge des trivialen Ausgangsproblems: Es ist keineswegs selbstver-
ständlich und im Grunde sogar eher unwahrscheinlich, daß die Zeitgenossen bei
dieser Frage stets einer Meinung gewesen sind.
Daraus ergibt sich eine wichtige Folgerung: Alle Versuche, „die" mittelalterli-
che Verfassung zu rekonstruieren, sind perspektivisch. Die Forschung des 19.
1 MORAW, Fragen, S. 12f.
2 Vgl. GRAUS, Verfassungsgeschichte, S. 217 mit Anm. 217.
3 MORAW, Fragen, S. 12.
 
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