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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0541

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Schlußbemerkung

537

Jahrhunderts entwarf die Verfassung aus der Perspektive des Königs oder aus der
damit weitgehend kompatiblen Perspektive eines hypothetischen Volkes. Als
zentrale Quellen erschienen daher naturgemäß der schriftliche Niederschlag einer
königlichen „Gesetzgebung" und - für das frühe Mittelalter - die ebenfalls schrift-
liche Fixierung von „Volksrechten". Daß diese Quellen auch noch leicht zugäng-
lich waren, dürfte mit eine Rolle gespielt haben, wenngleich man nicht ausschlie-
ßen sollte, daß gerade die eher einfache Zugänglichkeit überhaupt erst die Folge
der Meinung war, daß es sich dabei um die „zentralen" Quellen handelte, die
demzufolge auch bei Editionsplänen Vorrang genossen^. Der „Adel" jedenfalls
hatte in dieser Sicht nur einen Platz als Störfaktor; demgemäß erschien er - als
Kollektivsubjekt - als destruktives Element. Es bedarf nach der Untersuchung von
Böckenförde wohl keiner weiteren Begründung, daß dieser Ansatz „zeitgebunde-
ne" Leitbilder und Wertvorstellungen enthielt und demnach dezidiert normativ
argumentierte. Hinzufügen sollte man allerdings, daß diese Feststellung keines-
wegs die ältere Forschung entwerten kann: Zum einen entsprach dieser Ansatz
ohne jeden Zweifel den auch heute noch gängigen methodischen Standards der
Wissenschaft, zum anderen sieht sich jede Art historischer Forschung, die ein hö-
heres Abstraktionsniveau erreichen will und damit ein rein antiquarisches Er-
kenntnisinteresse verlassen kann, mit diesem Problem konfrontiert. Hinzu kommt,
daß allein der Hinweis auf die zeitgenössischen Hintergründe der Entstehung
dieser Sichtweise nicht vollständig die „interne" Vielfalt der Konstruktionen im
Rahmen dieses Ansatzes erklären kann.
Vorwerfen lassen sich diesem Paradigma dagegen einige andere Punkte. Zum
einen wird man kaum davon sprechen können, daß der prinzipiellen Kluft zwi-
schen der Sicht der Zeitgenossen und den nachträglichen Konstruktionen von
Historikern immer die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre.
Tatsächlich lesen sich manche Entwürfe als Versuche, gewissermaßen nachträglich
für die Zeitgenossen eine rational konstruierte Verfassung schriftlich zu fixieren.
Konkret bedeutet dies, daß im 19. Jahrhundert das Bild einer mittelalterlichen
Verfassung entstand, wie sie nach damals gängiger Meinung der König hätte
wünschen sollen. Es dürfte keineswegs auszuschließen sein, daß damit die Absich-
ten einiger Herrscher des Mittelalters durchaus erfaßt werden können; erst die
jüngere Forschung hat hervorgehoben, daß Pläne dieser Art allerdings wohl eher
der Ausnahme- denn der Normalfall gewesen sind.
Für die Abkehr von dieser älteren Sicht aber waren zwei andere Kritikpunkte
maßgeblich. Zum einen wurde entdeckt, daß manche Thesen auf Voraussetzungen
beruhten, die nicht zeitgemäß sind. Dies gilt in erster Linie für die Unterscheidung
zwischen „öffentlicher" und „privater" Gewalt. Im Rahmen des älteren Ansatzes
war dies einer der zentralen, wenn nicht gar der zentrale Ansatzpunkt der Verfas-

4 Vgl. GRAUS, Verfassungsgeschichte, S. 225 Anm. 44.
 
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