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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Pudor, Heinrich: Die bildende Kunst in Dänemark
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0214

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178

Auch seine Porträtbüsten sind innerlich leer und
nichtssagend. Die grosse Wirkung, die er aus-
geübt hat, findet nicht nur durch seine Beherrsch-
ung des Technischen ihre Erklärung, sondern auch
dadurch, dass er weiss, stets die am meisten
charakteristische und sprechende Haltung zu finden,
wie bei der Byron-Statue oder bei dem den Adler
tränkenden Ganymedes. Hierdurch gab er dem
allgemeinen Publikum einen Anhaltspunkt, eine
Art Eselsbrücke. Thorwaldsen erzählt nicht nur
im Relief und in der Gruppe, sondern auch in der
Einzelfigur vermöge Bewegung und Haltung. Seine
Plastik ist zum einen Teil dekorativ, zum anderen
Teil feuilletonistisch-anekclotenhaft. Tiefe Empfind-
ung vermag er nicht zu geben. Seine meisten
Werke sind innerlich kalt. Nur im Idyll ist er
wahr und echt, liebenswürdig und voll Empfindung.
Unser heutiges Urteil über Thorwaldsen muss
also wesentlich anders lauten, als das der Ver-
gangenheit. Wir können heute die Verehrung, die
man ihm entgegengebracht hat, kaum begreifen.
Für uns, und wie es scheint, für die Geschichte
überhaupt, ist er, wie jeder andere klassizistische
Künstler, von untergeordneter Bedeutung. Man
kann sogar soweit gehen, zu sagen, dass er nach
mancher Richtung eine schädliche Wirkung aus-
geübt hat, indem er die Menschen lehrte, Form
ohne Inhalt anzubeten. Tatsächlich hat Thor-
waldsen in dieser Richtung bis in die neueste Zeit
hinein eine schädliche Wirkung ausgeübt und Sache
des realistischen Naturalismus war es, diesen
Schaden auszumerzen.
Die besagte schädliche Wirkung konnte um
so nachhaltender sein, als Thorwaldsen eine Schule
gründete, welche die europäische Bildhauerkunst
bis auf die jüngste Zeit stark beeinflusste. Die
bedeutendsten Schüler Thorwaldsens sind H. W.
Bissen, J. A. Jerichau und H. E. Freund. Letzterer
kam im Jahre 1818 als junger Stipendiat von der
Akademie von Kopenhagen nach Rom und wurde
Thorwaldsen’s rechte Hand. Er hatte übrigens
eine strengere und reinere Auffassung von der
Antike, als sein Lehrer. Er entfernte sich aber
etwas von der antikisierenden Richtung, wenigstens
in stofflicher Beziehung, indem er sich der nordi-
schen Mythologie zuwandte (vergl. seinen interes-
santen Ragnarokfries, der nach seinem Tode von
Bissen ausgeführt wurde1)- Als er nach Dänemark
zurückkehrte, gewann er grossen Einfluss und wurde
1829 Professor an der Kunstakademie. Auch das
Kunsthandwerk, das er selbst bestens verstand,
beeinflusste er.
Hermann Wilhelm Bissen (geb. 1798 in
Schleswig, gest. 1868 in Kopenhagen, war der ein-
flussreichste Schüler Thorwaldsens und zugleich
der talentvollste. Er ist einer von den Schülern,
die grösser als der Lehrer werden. In seinen
früheren Werken zwar vertritt er den Klassizismus
Thorwaldsens. Vom Jahre 1850 ab neigt er einem
nationalen Realismus zu, der im Verein mit seinem
bedeutenden technischen Können Hervorrragendes
zeitigen musste. Sein „Landsoldat“, der den Lor-
1) Ferner ein Relief „Mime und Balder“, eine Bronzestatuette „Odin“
und zwei Entwürfe in Gips „Loki“ und „Odin“.

beer schwingt und Hurra ruft (in Fredericia 1850
errichtet), lässt den Schüler Thorwaldsens nicht
mehr erkennen. Ein hervorragendes, in jeder Be-
ziehung befriedigendes und ganz modern wirken-
des Werk ist seine Statue der Schauspielerin
Johanne Louise Heiberg1) (aus dem Jahre 1860).
Auch die Statue Oersteds aus dem folgenden
Jahre ist ausgezeichnet und wirkt sehr lebendig.
Aehnliches gilt von der Statue König Friedrichs VII.
aus dem Jahre 1865, die indessen etwas Thea-
tralisches an sich hat. Aus dem Jahre 1866 ist
noch die Büste des Zoologen Stenstrup zu er-
wähnen.
Der Rival Bissen’s war J. A. Jerichau
(1816—1883), ebenfalls Schüler Thorwaldsens, der
sich viel näher einerseits an die Antike und anderer-
seits an Thorwaldsen anlehnte. Die selbständige
Bedeutung Bissen’s hat er dagegen nicht. Sein
bekanntestes Werk ist der Pantherjäger aus dem
Jahre 1852, in seiner Art ein vortreffliches Werk,
aber in Stellung, Haltung und Auffassung durchaus
der Antike abgesehen. In der Tat stellte sich
Jerichau geradezu in Opposition zu der nationalen,
realistischen Richtung der Kunst. Am bezeichnend-
sten für ihn ist wohl die Gruppe „Badende Mäd-
chen“, ein Werk, das Thorwaldsen’schen Klassi-
zismus in Jerichau’schem Gusse zeigt. Wenn schon
Thorwaldsen oft sich der Nipp-Plastik genähert hatte,
tat es Jerichau noch mehr — vergl. die Marmor-
statue eines Mädchens mit einem toten Vogel. Zu
seinen besseren Werken gehören „Adam und die
neugeschaffene Eva“, Christus und die Statue einer
Sklavin. Matt und hohl wirken dagegen die Gruppe
„Herkules und Hebe“ und die Statue der „schlum-
mernden Liebe“. Das von ihm geschaffene Oersted-
Denkmal im Oersted-Park ist im Gegensatz zu
demjenigen Bissens nicht viel wert.
Jerichau stiftete keine Schule. Unter den
Schülern H. V. Bissens mögen dagegen erwähnt
werden C. Peters, der eine Reihe Statuen kleiner
Mädchen modellierte und die Nipp-Plastik be-
reicherte, Th. Stein (als akademischer Lehrer von
einer gewissen Bedeutung, während seine Werke
keiner besonderen Erwähnung bedürfen), ferner
sein ältester Sohn Wilhelm Bissen, der wohl der
begabteste unter den Schülern Bissens war.
In freierem Verhältnis zur Bissen’schen Schule
stand A. W. Saabye (geb. 1823), dessen bestes
Werk die Statue der verratenen Susanne ist (aus
dem Jahre 1889), die dem Schneeglöckchen des
Schweden Hasselberg in der Auffassung nahe ver-
wandt ist. Von anderen Werken Saaby’s mag die
Gruppe „Adam und Eva nach dem Sündenfall“
erwähnt werden, auch hier ist noch des Unwahre
des Klassizismus erkennbar: obwohl Adam im
schleppenden Gang die Füsse kaum bewegt, sind
die Beinmuskeln stark angespannt.
Mehr in Jerichau’scher Bahn bewegt sich Karl
Aarsleff (geb. 1852), von dem nicht viel Gutes zu
sagen ist, während im übrigen die späteren Bild-
hauer Dänemarks sich mehr ausländischem Ein-
fluss hingeben, wie der Schüler H. V. Bissen’s
1) An dieses Bissen’sche Werk erinnert stark die jüngst in Wien
errichtete Statue der Kaiserin Elisabeth von Prof. Helmer.
 
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