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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 6
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Uhde-Bernays, Hermann: Das germanische Nationalmuseum in Nürnberg 1852-1902
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https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0312

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-- 201

punkt, um welchen sich nach und nach der statt-
liche Ring der heute das Museum bildenden Ge-
bäude schliessen sollte. Auch die Aufmerksamkeit
der höchsten Reichsbehörden war unterdessen in
Anspruch genommen worden. Der deutsche Bundes-
tag hatte am 28. Juli 1853 einen Beschluss erlassen,
in welchem das Museum der wohlgeneigten Teil-
nahme der Regierungen empfohlen wurde. Durch
Herausgabe eines „Anzeigers für Kunde der deut-
schen Vorzeit“, der noch heute als „Anzeiger des
germanischen Nationalmuseums“ in vierteljährlichen,
umfangreichen Heiten erscheint, erreichte Aufsess
den Zweck, die Blicke der Gelehrtenwelt und zu
gleicher Zeit die Sammlerkreise auf sein rasch
emporblühendes Institut zu lenken. Eine Anzahl
der tüchtigsten Beamten, darunter der bekannte
Germanist Bartsch, bürgte für eine glückliche Ent-
wicklung. Um die innere Ausschmückung machte
sich namentlich Wilhelm von Kaulbach verdient,
der die südwestliche Ecke der früher als Heumagazin
verwendeten Kirche, welche als besonders charakte-
ristischer Teil des alten Klosters im ursprünglichen
Zustande belassen wurde, um den hervorragendsten
Stücken der Sammlungen als entsprechende Um-
gebung zu dienen (siehe Abbildung), mit einem
grossen Fresco zierte: der Besuch Kaiser Oltos
in der Gruft Karls des Grossen zu Aachen.

Kräitig regten sich also die Keime, und sorglich
behütete er sie, aber trotzdem trat Freiherr von Auisess
nach zehnjähriger Amtsdauer zurück. Sein Ent-
schluss war unwiderruflich. Während er von seinem
Gut Kressbronn am Bodensee aus die Geschichte
seines Werkes mit steter, bis. zu seinem Tode, der
1872 erfolgte, gleichbleibender Liebe verfolgte, ging
das Museum schweren Zeiten entgegen, die zeit-
weilig sogar seine ganze Existenz in Frage zu
stellen drohten. Zwar hatte Aufsess seine eigenen
Sammlungen nicht zurückgezogen, sondern die-
selben um den Preis von 120000 Gulden an die Anstalt
verkauft, aber die mahnende Bitte, dem hochherzigen
Beitrag König Ludwigs I., der 50000 Gulden stiftete,
durch entsprechende Gaben zur Seite zu treten,
verhallte bei den deutschen Fürsten. Nur der Güte
des Königs und dem Entgegenkommen des Freiherrn
ist es zu danken, dass der eigentliche Grundstock
erhalten blieb. Das war es aber nicht allein. Es
dauerte beinahe vier Jahre, bis eine feste Hand
das von Auifsess sicher geführte Steuer ergreifen
konnte. Von den erregten Stürmen, welche der
Einigung unseres Vaterlandes vorausgingen, wurde
das schwache Schilfflein hilflos umhergetrieben. Der
für Aufsess gewählte Geheime Justitzrat Dr. Michelsen,
ein treuer Anhänger des Augustenburger Herzogs,
zog sich nach Jahresfrist wieder zurück, um seine
Dienste ganz seiner Heimat widmen zu können.
Es ist begreiflich, dass er in dieser kurzen Zeit
und noch dazu als ein Mann, der im Herzen
starken Sonderbestrebungen huldigte, das germa-
nische Nationalmuseum, das nach des Gründers
stolzem Wort „Eigentum der deutschen Nation“
sich nennt, zu fördern nicht geschaffen war. Unter
den zahlreichen Namen, die für seine Stelle genannt
wurden — es mag von Interesse sein, zu erfahren,
dass auch der Aufsess persönlich beireundete Dichter

Scheffel sich unter ihnen befand — zu wählen,
erschien äusserst schwierig. Endlich einigte man
sich auf Prof. Dr. V. Rein in Eisenach, der jedoch
kurz darauf starb, ohne die neue Stellung angetreten
zu haben. Dafür wurde der 21. Januar 1866, der
Tag, an welchem August Ottmar Essenwein, Professor
in Graz, zum ersten Direktor berufen wurde, ein
wirklicher Glückstag für das Museum. Am 1. März
des grossen Kriegsjahres übernahm Essenwein sein
Amt, das er bis zu seinem Tode, am 13. Oktober 1892
zu eigenem und des Museums Ruhme geführt hat.
Zwei Eigenschalten brachte er mit, die die auf ihn
gefallene Wahl auf das glänzendste rechtiertigten,
einen angeborenen Blick für alle nur möglichen,
der Vergrösserung der ihm unterstellten Samm-
lungen dienenden Beziehungen, vereinigt mit einem
organisatorischen Talent ersten Ranges. Wohl ist
ihm diese seltene Findigkeit, jene rücksichtslose,
fieberhaite Sammeltätigkeit gelegentlich zum Vor-
wurf gemacht worden, wohl verdachte man es
ihm auch in Gelehrtenkreisen, dass er die von
Auifsess gleichmässig betonte wissenschalitliche Er-

gänzung allzusehr ausser Acht liess, da beispiels-

weise das oben erwähnte Orts-, Personal- und
Sachregister aus Mangel an dazu geeigneten Be-
amten leider nur bis zur Mitte der siebziger Jahre
geführt worden ist. Dafür zeigt die Wanderung
durch die Sammlungen, auf welcher Seite das aus-
schlaggebende Verdienst seiner Lebensarbeit zu
suchen ist. Hatte man schon den Freiherrn von
Auisess scherzweise mit dem Namen „Der grosse
Bettler“ belegt, so erschien diese Bezeichnung für
Essenwein fast noch angebrachter. Da er nach
und nach alle Fäden der Verwaltung, in seiner
Hand vereinigte, richtete er sein Augenmerk neben
den Sammlungen besonders auf die stetige Ver-
mehrung und Neugründung der Pflegschaften. „Es
begann ein frisches, fröhliches Vorwärtsstreben auf
allen Gebieten. Der grosse Zug, der seit dem
Rücktritte des Freiherrn von Aufsess dem Unter-
nehmen fehlte und. der allein in der Lage war, die
Anstalt vorwärts zu bringen, machte sich bald
allenthalben bemerkbar. Er hatte in der Ueber-
zeugung die Leitung des Museums zur Hauptaufgabe
seines Lebens gemacht, dass es ihm gelinge werde,
dasselbe zu einer wirklichen Blüte zu bringen, ihm
die nationale Bedeutung zu geben und so die Ein-

setzung aller Kräfte eines ganzen Lebens zu lohnen.‘

Mit diesen Worten charakterisiert der von Direktor
Hans Bösch verfasste Nekrolog (Anzeiger 1802,
Nr. 5) trefflich die neue Zeit, die mit der Ernennung
Essenweins angebrochen war. Ein erschöpfendes
Bild seiner Bestrebungen mit getreuer Berück-
sichtigung und Aufzählung aller seiner Verdienste
wäre eine würdige Aufgabe, welche zu übernehmen
einmal ein gründlicher Chronist sich entschliessen
sollte. Hier müssen einige flüchtige Andeutungen
genügen. Sammlungen, Bauten, Verwaltung. In
diesen drei gleich wichtigen Gebieten leistete Essen-
wein das Höchste. Zwei Momente sind aus dem
ersten, wichtigsten, dieser drei besonders her-
vorzuheben. Zuerst die Ueberweisung der städt-
ischen Kunstschätze durch die Verwaltung der
Stadt Nürnberg. im Jahre 1875, wodurch die be-
 
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