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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 2.1902

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Nr. 10
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Peltzer, Alfred: Von der Ausstellung altflandrischer Kunst in Brügge
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https://doi.org/10.11588/diglit.47724#0582

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er ausgeübt hat. Die Anregungen, die von ihm
auf die Meister des Uebergangs von der Kunst des
15. Jahrhunderts zu der des 16. und bis weit in
das letztere hinein wirken, sind mannigfache und
bedeutende gewesen, nach meiner Ansicht, und
wohl einer besonderen Untersuchung wert. An
verschiedenen Stellen der Ausstellung konnte man
Hinweise in dieser Beziehung erkennen.

So dürfte ein Einfluss Davids z. B. zu kon-
Statieren sein bei dem sog. „Meister der
Schmerzen Mariä“, der sich ein weiches Hell-
dunkel dämmerig ausgebildet hat, mit kühlem Licht
und Schatten, aber über warmen Farben. Eine
grössere Anzahl in Brügge diesmal vereinister,
durchaus stilverwandter Bilder liessen diesen, sonst
noch wenig genannten Künstler als eine, wenn auch
nicht hervorragende, so doch getällige und abge-
schlossene Persönlichkeit kennen lernen.

Desgleichen hatte sich eine Reihe von Taieln
zusammengefunden, welche die grösste Aehnlich-
keit miteinander aufwiesen und mit Sicherheit jenem
Jan Provost zuerkannt werden konnten, der bis
jetzt nur mit den Bildern im Brügger Museum, von
denen das eine, das jüngste Gericht, beglaubigt ist,
allgemeiner bekannt war. Ich hebe hervor zwei
Tafeln mit demselben Vorwurf der letzten Dinge,
die eine dem Konsul Weber in Hamburg, die andere
dem Vicomte Ruffo de Bonneval in Brüssel gehörig.
Auch dieser Maler befleissigt sich eines Strebens
nach Helldunkel, besonders bei der Modellierung
der nackten Körper. Eine Madonna aus dem Strass-
burger Museum, die man als ein Frühwerk von ihm
ansprechen musste, deutete darauf hin, dass auch
er sich anfangs an Gerard David angeschlossen
hatte. Auch starke Einflüsse von Hieronymus Bosch
waren. übrigens bei ihm nicht zu verkennen.

Ganz entschieden indessen arbeitet in der
Richtung des David der bekannte „Meister der
weiblichen Halbfiguren“ weiter. Sein zartes
und flüchtiges Spiel des Lichtes auf den anmutigen,
jungen Frauengestalten mit dem rosigen Inkarnat,
mit den zierlichen Mienen und den geschminkten
Lippen ist ja bekannt. Er präsentierte sich ausser-
ordentlich gut und charakteristisch mit vier Bildern,
die nebeneinanderhingen und ihre Verwandtschaftt
auf das Schlagendste dem ersten Blicke bezeugten.
Darunter war die Tafel aus der Galerie des Graien
Harrach in Wien. Ueberdies hebe ich besonders
hervor eine „Ruhe auf der Flucht“, vom Grafen Ch.
d’Ursel in Brügge beigesteuert, und zwar wegen
der merkwürdigen Landschaft mit der geradeaus
in die Tiele des Bildes hinein stark verkürzten
Baumallee, — ein treffliches Motiv landschattlicher
Darstellung, sehr auffallend für diese Zeit, das als
eine Vorwegnahme des berühmten Bildes Hobbemas
in der Londoner National-Gallery bezeichnet werden
könnte. Wes Ursprungs dieser Meister gewesen
sein mag, — Wickhoff möchte ihn bekanntlich
neuerdings mit einem geborenen Niederländer identi-
fizieren, — seine ganze Kunst ist nur im Zusammen-
hang mit der gesamten niederländischen Malerei
zu betrachten, weshalb er seinen Platz auf der
Brügger Ausstellung mit Recht so in die Augen
fallend behauptete.

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7 ——

Auch bei Joachim Patinir (Taf. 124 u. 125) lässt
sich wohl an das Vorbild Gerard Davids denken, vor-
züglich in der Behandlung des landschaftlichen De-
tails. Er geht dann aus auf gewisse Farbenwirkungen,
mit denen er seine wundervollen Landschaften, die
ersten selbständigen, einen so unendlich anmutigen
Reiz verleiht. Seine bekannte Art der Darstellung
der landschaitlichen Ferne in intensivem und wunder-
voll klarem Blau, die dann für lange Zeit in der
flämischen Kunst vorbildlich blieb, ist nicht nur als
Zeugnis für die naturwahre Beobachtung der Luflft-
perspektive zu nehmen, sondern zugleich als ein
ungemein glücklicher, koloristischer Versuch. Denn
die Weise, wie er dieses reine Blau auf seinen
besten Bildern zu dem Gelb, Braun und Grün der
Vordergründe in eine vollklingende Harmonie zu
bringen weiss, lässt ihn als einen sehr feinen Farben-
künstler erscheinen. Auf der Ausstellung bot hier-
für den schönsten Beleg eine kleine Tafel aus Herrn
von Kaufmanns Eigentum, ein wahrhaft köstliches
Bild, zu welchem in den meist etwas leereren, letzten
Saal es Einen aus der stets sehr besuchten, ja oft
gedrängt vollen Ausstellung immer wieder hinzog
als zu einem stillen Ruhepunkt heiterster Augenweide.

Dem, Patinir sonst als künstlerisch verwandt
geltenden Herry met de Bles fand sich aus dem
Besitze des Sir Fred. Cook in Richmond ein Werk
zugeschrieben, das, wenn es wirklich von ihm ist,
ihn zu einer der wichtigsten Erscheinungen der
niederländischen Kunstgeschichte machen würde,
eine umfangreiche, doppelseitig bemalte Tafel, die
gerade für die Entwicklung des Malerischen von
hervorragender Bedeutung ist. Dieselbe zeigt auf
der Vorderseite das neugeborene Christkind im
Stalle liegend, von Engeln mit grossen Flügeln an-
gebetet, auf der Rückseite die Scene, wie der heilige
Josef als Bräutigam der Maria erkannt wird. Wer
ist der sehr bedeutende Maler dieser Bilder? Wirk-
lich Bles? Er offenbart sich als ein eigenartiger
Lichtmaler, als ein Vorläufer Rembrandts, an den
man schon ganz auffallend erinnert. wird, und zwar
als ein Vorläufer etwa auf der Stufe wie Mathias
Grünewald, der Deutsche, an den man überhaupt
in der Stimmung etwas gemahnt wird; nur noch
malerischer. Die Hauptseite zeigt ein vollkommenes
Nachtstück. Der düstere Stall ist von einem Schein
beleuchtet, der vom Christkind ausgeht und im
Helldunkel sich verbreitet; die brennende Laterne,
die Joseph herbeibringt, gibt nur schwaches Licht.
Rechts blickt man in eine Landschaft, wo die Hirten
um ‚ein. grosses Feuer lagern, das einen Effekt
schon in der Weise des Aert van der Neer aus-
macht. Oben am Himmel schimmert eine Licht-
erscheinung, wie wenn der Mond durchbricht; darin
sieht man, jetzt verblichen, bei näherem Zuschauen
etwas Rosiges, was ursprünglich wohl eine kleine
Engelsgestalt war, welche den Weihnachtsgruss ent-
bot. Jedoch dieselbe muss von jeher ziemlich ver-
schwindend gewesen sein; der Beleuchtungseffekt ‘
sagte genug und brachte die erforderliche Stimmung,
auf die es diesem Künstler ankam, völlig zum Aus-
druck. Das Ganze ist in schimmernden Farben bei
einem tiefbraunen Einheitston gehalten. Auch die Ge-
stalten und ihre Typen, die naturalistischen Köpfe der
 
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