deutlich, daß uns ein völlig veraltetes Wirtschaftssystem hier eine Todes-
schlinge um den Hals zu legen droht.
Warum — so fragen wir uns heute — ernähren wir noch einige Millionen
Städter auf völlig und endgültig abgestorbenen Arbeits- und Ernährungs-
plätzen? Und wie lange wollen wir uns dieses verhaftungswürdige volkswirt-
schaftliche Verbrechen noch erlauben? Nur weil ein „System" es einem zen-
tralen Wirtschaftsrat nicht erlaubt, darüber nachzudenken, ob dieser oder jener
Arbeitsplatz endgültig abgestorben ist und sich nicht mehr auftun wird? Nur
weil ein „System" es verlangt, daß in dieser oder jener Privatbilanz der An-
lagewert eines Arbeitsplatzes noch als ein „Wert" figurieren muß? Aus diesen
und ähnlichen Gründen sollen wir eine Dauerkrise über uns ergehen lassen?
Ich finde, daß es an der Zeit ist, nach einer wirtschaftspolitischen Verantwort-
lichkeit im Städtebau zu rufen. Die kommunale Selbstverwaltung war bisher
nichts anderes als ein Tag- und Nachtwächterdienst für ein sehr geheimes, sehr
privates, sehr verschwenderisches und überaus fahrlässiges Wirtschaftssystem.
Und was bedeutete in diesem System der „Städtebau" unserer Städtebauer?
Er bedeutete, daß sich die Städte (allen schönen Plänen unserer Städtebauer
entgegen) so bauten, wie jener private und geheime Wille es wünschte und
diktierte. Schon das Wort Städte-„bauer" verdeckt eine innere Unwahrhaftig-
keit der städtebaulichen Arbeit. Noch niemals hat ein sogenannter Städtebauer,
wie z. B. Hermann Jansen, die Möglichkeit gehabt, eine Stadt oder wenigstens
einen Stadtteil zu erbauen. Bestenfalls hat er Gelegenheit gehabt, seinen
Wunschwillen auf dem Papier zu betätigen und für eine Stadt oder einen Stadt-
teil Baufluchtlinien aufzustellen. Die ganze Farce dieses Städtebauens auf dem
Papier könnte gar nicht drastischer als dadurch dargestellt werden, daß jede
Stadt einmal ihre projektierten und dann „förmlich" festgesetzten und dann
wieder aufgehobenen und wieder projektierten und dann wieder förmlich
festgesetzten und wieder aufgehobenen Fluchtlinien übereinanderzeichnen
würde. Ich glaube, dieses Linienspiel unserer Städtebauer wird uns so er-
schrecken, daß es uns noch nachts im Traume nachläuft.
Ich sagte, daß das Wort Städte-„bauer" eine innere Unwahrhaftigkeit unserer
städtebaulichen Arbeiten verdeckt. Diese Feststellung schließt zugleich aber
auch die innere Wahrhaftigkeit des Wortes „Städtebauer" ein, der ein Bau-
meister ist, der nicht nur Städte auf dem Papier plant, sondern auch seine
Planungen wirklich bauen will. Aber diese Form des Städtebaues hat es in
Westeuropa nur in ganz bescheidenstem Umfange gegeben. Sie ist zurzeit nur
in Rußland möglich, das uns zum ersten Mal vor Augen geführt hat, daß Städte-
bau in Wirklichkeit nichts anderes ist — als Wirtschaftsbau.
V.
Das Leben und das Sterben unserer Städte kann der Städtebauer nur unter dem
Blickpunkt des Wirtschaftsbaues verstehen und erklären. Und von diesem Blick- 9
punkt aus gesehen hat er unseren verantwortlichen Stellen vieles in das Ge- Mohoiy-Nagy
wissen ZU reden Phasen aus dem „Lichtspiel schwarz-weiß-grau'
Fragements du „film noir-blanc-gris".
Sterbende Städte? Unsere heutigen Städte sterben an vielem, u. a. auch an stages out of the „black, white and grey film'
ihren Unkosten! Was sind denn, so wird der Leser fragen, die „Unkosten" einer 1931-
Stadt? Hat es darüber unter den Städtebauern schon jemals eine tiefgründige
Diskussion gegeben? Hat man den Wirtschaftsbau einer Stadt schon jemals als
56
schlinge um den Hals zu legen droht.
Warum — so fragen wir uns heute — ernähren wir noch einige Millionen
Städter auf völlig und endgültig abgestorbenen Arbeits- und Ernährungs-
plätzen? Und wie lange wollen wir uns dieses verhaftungswürdige volkswirt-
schaftliche Verbrechen noch erlauben? Nur weil ein „System" es einem zen-
tralen Wirtschaftsrat nicht erlaubt, darüber nachzudenken, ob dieser oder jener
Arbeitsplatz endgültig abgestorben ist und sich nicht mehr auftun wird? Nur
weil ein „System" es verlangt, daß in dieser oder jener Privatbilanz der An-
lagewert eines Arbeitsplatzes noch als ein „Wert" figurieren muß? Aus diesen
und ähnlichen Gründen sollen wir eine Dauerkrise über uns ergehen lassen?
Ich finde, daß es an der Zeit ist, nach einer wirtschaftspolitischen Verantwort-
lichkeit im Städtebau zu rufen. Die kommunale Selbstverwaltung war bisher
nichts anderes als ein Tag- und Nachtwächterdienst für ein sehr geheimes, sehr
privates, sehr verschwenderisches und überaus fahrlässiges Wirtschaftssystem.
Und was bedeutete in diesem System der „Städtebau" unserer Städtebauer?
Er bedeutete, daß sich die Städte (allen schönen Plänen unserer Städtebauer
entgegen) so bauten, wie jener private und geheime Wille es wünschte und
diktierte. Schon das Wort Städte-„bauer" verdeckt eine innere Unwahrhaftig-
keit der städtebaulichen Arbeit. Noch niemals hat ein sogenannter Städtebauer,
wie z. B. Hermann Jansen, die Möglichkeit gehabt, eine Stadt oder wenigstens
einen Stadtteil zu erbauen. Bestenfalls hat er Gelegenheit gehabt, seinen
Wunschwillen auf dem Papier zu betätigen und für eine Stadt oder einen Stadt-
teil Baufluchtlinien aufzustellen. Die ganze Farce dieses Städtebauens auf dem
Papier könnte gar nicht drastischer als dadurch dargestellt werden, daß jede
Stadt einmal ihre projektierten und dann „förmlich" festgesetzten und dann
wieder aufgehobenen und wieder projektierten und dann wieder förmlich
festgesetzten und wieder aufgehobenen Fluchtlinien übereinanderzeichnen
würde. Ich glaube, dieses Linienspiel unserer Städtebauer wird uns so er-
schrecken, daß es uns noch nachts im Traume nachläuft.
Ich sagte, daß das Wort Städte-„bauer" eine innere Unwahrhaftigkeit unserer
städtebaulichen Arbeiten verdeckt. Diese Feststellung schließt zugleich aber
auch die innere Wahrhaftigkeit des Wortes „Städtebauer" ein, der ein Bau-
meister ist, der nicht nur Städte auf dem Papier plant, sondern auch seine
Planungen wirklich bauen will. Aber diese Form des Städtebaues hat es in
Westeuropa nur in ganz bescheidenstem Umfange gegeben. Sie ist zurzeit nur
in Rußland möglich, das uns zum ersten Mal vor Augen geführt hat, daß Städte-
bau in Wirklichkeit nichts anderes ist — als Wirtschaftsbau.
V.
Das Leben und das Sterben unserer Städte kann der Städtebauer nur unter dem
Blickpunkt des Wirtschaftsbaues verstehen und erklären. Und von diesem Blick- 9
punkt aus gesehen hat er unseren verantwortlichen Stellen vieles in das Ge- Mohoiy-Nagy
wissen ZU reden Phasen aus dem „Lichtspiel schwarz-weiß-grau'
Fragements du „film noir-blanc-gris".
Sterbende Städte? Unsere heutigen Städte sterben an vielem, u. a. auch an stages out of the „black, white and grey film'
ihren Unkosten! Was sind denn, so wird der Leser fragen, die „Unkosten" einer 1931-
Stadt? Hat es darüber unter den Städtebauern schon jemals eine tiefgründige
Diskussion gegeben? Hat man den Wirtschaftsbau einer Stadt schon jemals als
56