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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

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Grohmann, Will: Neue schöpferische Kräfte in der europäischen Malerei der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0124

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creatrice steht unbewußt dahinter, wie Husserls phänomenologische Unter-
suchungen hinter der „Brücke". Die „innere Notwendigkeit" Kandinskys und
die „imaginatio" Noldes entsprechen sich. Kandinsky erarbeitet eine neue
Grammatik der bildkünstlerischen Mittel, gibt die Fakta als bloße Bezogen-
heiten und kommt unter Ueberwindung der äußeren Anschauung und der
Bedeutung zu einerObjektivität, derenSinn durch exakteFormulierung ebenso
klar vorgeschrieben ist wie bei absoluter Musik. Klee erarbeitet die Totalität
innerer und äußerer Anschauung und Bedeutung mit Bilderschrift ähnlichen
Zeichen und kommt wie Joyce im „Ulysses" zu einer Vielfältigkeit des Sinns,
deren Bezogenheiten uns erst langsam aufgehen werden. Marc stirbt zu früh, um
jenseits des erledigten anschaulichen und begrifflichen Schematismus eine
Kunst zu stabilisieren, die andere befruchtet. Dawlensky und der zuletzt dem
Kreis sich anschließende Feininger bereichern diesen Vorstoß um eine russisch-
mystische, bezw. germanisch-kubistische Nüance.

Gleichzeitig erfolgt in Frankreich der Durchbruch zum Kubismus in den
Spaniern Picasso und Gris, den Franzosen Braque und Leger und einer Anzahl
von begabten Mitkämpfern, die an einem Punkt dieser Entwicklung, um 1911,
Halt machen, um die Idee nach allen Seiten auszubauen und fortzuführen
(Gleizes, Metzinger, Delaunay). Dieser Durchbruch wurde für die weitere Ge-
schichte der folgenreichste, international der anerkannteste, wenn auch nicht
zu leugnen ist, daß die Wirkung von Klee und Kandinsky auf die junge Genera-
tion heute außerordentlich groß ist und wächst. Die französischen Kubisten,
die heute übrigens keine mehr sind — auch hier legt ein erster sinnfälliger,
aber inhaltsloser Augenblicksname für eine neue Sache die geschichtliche

Einordnung fest — erarbeiten die Totalität optischer Anschauung durch Ein- Deü,sehlan«1 Aiiemagne Germany
beziehung des Zeit-Bewegungsbegriffes, beseitigen die Diskrepanz zwi-
schen Objekt und Subjekt durch eine schöpferische Methode des Sehens
und erreichen die höchste Spannung zwischen Geist und Materie, Intuition
und Wirklichkeit. Dies alles um 1910. Alle drei Maler entwickeln auf dieser
Grundlage entscheidende Ausfälle nach ganz verschiedenen Richtungen,
Picasso ins Metaphysische und geistig Komplexe, Braque ins Virtuelle (statt
nature morte: spectacle des objets), Leger in die sichtbare Kontrastierung von
Ich und Wirklichkeit.

Eine selbständige deutsche Bildidee entsteht aus deutschen Voraussetzungen
bei der Stuttgarter Gruppe der Holzel, Meyer-Amden, Schlemmer, Baumeister;
man will eine das Staffeleibild von innen heraus überwindende konstruktive
figurale Monumentalmalerei, die, im Gegensatz zu den Fauves-Versuchen von
1908 in Paris, zum Ziel kommt, weil der Instinkt mathematisch kontrolliert ist
und das Gefüge aus Raum und Figur mit Hilfe selbstgeschaffener Spannungs-
gesetze entsteht. Das Ergebnis: ein Gleichnis der „Ordnung", die sich auf Aus-
dehnung, Meßbarkeit, Proportion, Gleichgewicht und Ausdruck bezieht. Aus-
gang ist das „Mauerbild", vorläufiges Ziel die freiere Verzahnung von Wand
und Bild.

Geklärt und schon übersehbar ist die Bewegung der abstrakten und konkreten
konstruktiven Versuche, wie sie von dem fast sechzigjährigen Mondrian und von 5
Malewitsch auf der einen, von ingenieurhaften Begabungen wie Gabo (* 1890) ^erDbert la/5'

.... t. . __ _. . . Der Baum. 1931

und Lissitzky (* 1890) auf der anderen Seite zu einer Losung gebracht worden L'Arbre
sind. Hier handelte es sich um den Uebergang zur mathematisch-philosophisch The Tree

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