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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

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Chronik der Länder
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https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0177

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rungen, Umwälzungen und Ereignisse der späteren Jahre hatten keinen

Einfluß mehr auf die tanzkünstlerischen Aeußerungen.

Daß Jooß gerade in Paris seine Arbeit starten konnte, verdeutlicht den

grundsätzlichen Gegensatz, der zwischen deutscher und Pariser (eine

französische gibt es ebensowenig wie eine Berliner) Tanzkunst besteht.

Er ist nicht nur ästhetisch zu werten. Uns interessiert der soziologische

Hintergrund.

Die Stützen der emigrantenrussischen Tanzkunst in Paris sind nach wie
vor Mäzene. Seien es nun Könige, Fürsten oder Finanzgewaltige: In
Deutschland ist ihr Einfluß auf die Kunst beseitigt. Die Basis der deut-
schen Kunst ist die Gesamtheit geworden. In Paris hingegen ist es ein
spielerischer Trieb Einzelner. Folge, daß in Paris das klassische Ballett
weiterbestehen kann, ohne daß es einer geistigen Umwandlung bedarf;
formalistische Umgruppierung genügt. In Deutschland hingegen ergibt
sich die Notwendigkeit engster Verbindung mit dem Volksganzen und
dem Leben der Gegenwart, um dem Tanz überhaupt Lebensberechtigung
zu gewähren. In Paris entsteht eine Abhängigkeit von der Laune der
Mäzene, in Deutschland von dem Erleben der Volksgemeinschaft. Das
bedingt die ständige Erneuerung des Inhalts und der Form, die dem
Tanz in Deutschland in den letzten Jahren nicht gelungen war.
Jooß behandelt im „Grünen Tisch" ein brennendes Problem: Völkerbund
und Krieg. Er zeigt in einer grotesken Vision Fruchtlosigkeit und Un-
ehrlichkeit der Verhandlungen am grünen Tisch. Eine hinreißend ge-
staltete Szene, mit der das Stück beginnt und schließt. Dazwischen
demonstriert Jooß in einem modernen Totentanz die vernichtende Ge-
walt des Krieges. Soldaten im Stahlhelm, Mütter und Geliebte, Kriegs-
gewinnler. Sie alle holt der Tod, selbst ein Soldat, in seine Reihen.
Menschliche Verirrung wird in überrealistischer Darstellung plakatiert.
In präzisester Klarheit. Deutlich. Verständlich. Ethisch fundiert. Unbe-
streitbar. Ueberzeugend. Eine Anklage, wirkungsvoller als alle Theater-
stücke gleichen Inhalts und Demonstrationen pazifistischer Verbände.
Getanzte Weltanschauung, das ist der Vorwurf, den die Romanen dem
deutschen Tanz zu machen pflegten, und dessen Berechtigung von mir
nie bestritten wurde. Diesmal ist es aber kein Vorwurf, sondern höchstes
Lob. Denn was hier zum Ausdruck kommt, ist ein deutsches Bekenntnis
zu wirklicher und wahrhaftiger Menschlichkeit.

Es ist nicht anzunehmen, daß wir in absehbarer Zeit einem Tanzwerk
begegnen werden, das die gleiche Vollkommenheit aufweisen wird.
Wir können glücklich sein, wenn einmal in mehreren Jahren ein solches
Werk ersteht, bei dem alles, von der Konzeption bis zur Ausführung, von
den Tänzern bis zu Musik (Cohen) und Kostüm (Heckroth) zur wunder-
vollen Einheit verschmilzt. Jooß hat den Beweis erbracht, daß der Tanz
uns auch heute noch (oder wieder) etwas sagen kann. Das wird der
etwas aus der Besinnung gekommenen Tanzkunst unserer Tage neuen
Mut geben. Schlee

England

Against the „Praxitelean" tradition

Ziemlich im Verborgenen hat sich in England eine schulmäßig gebundene
Gruppe junger Bildhauer entwickelt, deren Werke die größte Ueber-
raschung der kürzlich vom Hamburger Kunstverein veranstalteten Aus-
stellung Neuer englischer Kunst war. Da die offizielle Kunst Englands,
beherrscht von der pompösen jährlichen Ausstellung der Royal Aca-
demie, noch immer etwa im Stile der Hofmaler Wilhelms II. arbeitet,
haben es diese jungen Künstler nicht leicht, sich durchzusetzen, denn
sie stellen sich klar und bestimmt in den Kreis der entscheidenden neuen
europäischen Kunst und versuchen, reinen Tisch zu machen mit allen
falschen Traditionsglauben und Vorurteilen der „upper ten".

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Szene aus dem Ballett „Grüner Tisch" von Kurt Jooss, Essen.
Scene from the ballett „Green table".
Scene du ballet „Table verte".
Foto: Renger-Patsch.

Für uns Deutsche ist der Weg, den die neuen englischen Plastiker gehen,
weder überraschend, noch seltsam. Sie sehen so, wie die gesamte neue
europäische Kunst, das Wesen der Natur nicht in der Nachahmung oder

37

Henry Moore, Maske. Mask. Masque.

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