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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

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Wagner, Martin: Städtebau als Wirtschaftsbau und Lebensbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0199

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Sie schaffen Bindungen und verlangen nach höchster Uebereinstimmung von
Angebot und Nachfrage. Sie arbeiten nur fruchtbar unter der vollendeten Har-
monie von Deckung und Bedarf. Sie rufen der hohen und höchsten Kommando-
brücke der Wirtschaft zu: Maschinenwirtschaft ist Planwirtschaft! Und wer das
nicht glauben will, der lasse sich diese Erkenntnis von einem Gott verkünden,
dem er mehr Glauben schenken mag, als einem Ingenieur: der frage das
Kapital!

Menschen ohne Arbeit! Maschinen ohne Arbeit! Kapital ohne Arbeit! Wer hat
nun das Kapital arbeitslos gemacht? Warum liegen in den Banken von Paris,
von Amsterdam, von Zürich und von London und NewYork die Milliarden ohne
Arbeit und ohne Rente? Warum? Warum? Keine spitzfindigen Deutungen! Das
Kapital streikt, weil man seine Mutter, die Maschine, mißhandelt! Kapital und
Maschine gehen den Weg naturverbundener Solidarität und haben der Kom-
mandobrücke der Wirtschaft das Vertrauen gekündigt. Das Kapital hat seine
langfristigen Bindungen an die Wirtschaft aufgehoben, hat sich sprungbereit,
hat sich „kurzfristig" gemacht, sich in den Wartestand erhoben oder — flieht
in den Strumpf, in die Sachwerte und ins Ausland! Das Kapital hat der zügel-
losen, Menschen- und Maschinenkraft mißhandelnden Freiwirtschaft Zutrauen
und Vertrauen gekündigt!

Wo nun Vertrauen und Zutrauen finden? Wo neue Wurzeln schlagen? Und
nähme das Kapital „Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer",
so würde es doch keine Wirtschaft finden, die seinem tiefsten Wesen gerecht
werden könnte, — diesem Wesen, das mit der Maschine wie mit seiner Mutter
verbunden ist und wie diese nach dauernder Arbeit, nach schnellem Umschlag
und nach billiger Produktion verlangt. Die Zerstörung der Maschinenwirtschaft
hat die Zerstörung der Kapitalwirtschaft herbeigeführt. Mißhandlung der
Maschine, heißt Mißhandlung des Kapitals! Stirbt die Maschine, dann stirbt das
Kapital! „Dein Gott ist mein Gott, wo du hingehest, da gehe ich auch hin!"
Das Kapital mißtraut einer Wirtschaftsform, die mit den Kräften des Volkes wie
der Natur eine geradezu verhaftungswürdige Verlustwirtschaft betreibt. Das
Kapital vergißt nicht die vier schicksalshaften Fünfjahrespläne der Freiwirt-
schaft:

Den Fünfjahresplan der Existenzvernichtung .... (1914 bis 1918)
Den Fünfjahresplan der Vermögensvernichtung .... (1919 bis 1923)
Den Fünfjahresplan der Handarbeitsvernichtung . . . (1924 bis 1928)
Den Fünfjahresplan der Maschinenarbeitsvernichtung . . (1929 bis 1933)
Volk und Kapital vergessen diese vier Fünfjahrespläne der Zerstörung ihrer
eigenen Kräfte nicht! Sie verweigern der Freiwirtschaft die Gefolgschaft!
Das Kapital vergißt es nicht, daß ihm in den letzten 5 Jahren von den Höchst-
kursen der Aktien 84 % (Vereinigte Staaten) und 77 % (Deutschland) und 76 %
(Holland) der investierten Werte von den Börsen gestrichen wurde! Das
Kapital vergißt es nicht, daß ihm die Freiwirtschaft auf dem Wege ehrlicher
Arbeit Fallen der Vernichtung und der Ausrottung gestellt hat, die der Gesetz-
geber ganz harmlos als Konkurse und Zwangsversteigerungen, als Stillhaltun-
gen und Vergleiche, als Fusionen und Exekutionen, als Aufwertungen und
Abwertungen bezeichnet! Auf dem Boden so kaltherziger Gletscherspalten
des Todes lebt kein Kapital! Es flieht, es macht sich künstlich arbeitslos und
wandert ohne Rente in die Tresors der Banken. Das Kapital flieht vor seinen
Schlächtern!

Zeichen der großen Wirtschaftskrise
3

Vor den Arbeitsämtern staut sich die Menge
der Arbeitsuchenden.

Symptömes de la grande crise economique

La foule des chömeurs se presse devant les

Bureaux de travail.

Signs of the Great Economic Crisis

Crowds of people, seeking employment, are
assembled outside the labour exchanges.

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