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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

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Wagner, Martin: Städtebau als Wirtschaftsbau und Lebensbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0206

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Diese deutschen Ländergrenzen, die dem
fortentwickelten wirtschaftlichen Raum-
leben der Menschen nicht gefolgt sind,
sind in der Gedanken- und Gefühlswelt
aller Bürger bereits „umgelegt" und ab-
geschrieben. Sie fristen ihr Leben nur
noch auf den Karten und in den Büro-
stuben der Verwaltungen.
Ces frontieres allemandes, qui n'ont pas
suivi le developpement de la vie econo-
mique mondiale, sont dejä detruite dans
l'esprit et les sentiments de tous les
citoyens. Elles survivent seulement sur les
cartes geographiques et dans les bureaux
des administrations.

These German frontiers, which have not
kept pace with developments in the
economic areas of the people, have
already been removed and abolished in
the minds and sentiments of all Citizens.
They are only still upheld on the maps
and in the Offices of the administrative
authorities.

I

Ballungen sind amorph und formlos! Die Großstadt macht sie sich körperlich
erträglich durch sehr viel Zivilisation, die ungeheure Kräfte unseres Volkes in
Anspruch nimmt. Was geben wir nicht aus für diese Zivilisation! Und jene
Freiwirtschaftler, die „sich's was kosten ließen", glauben, es sei Kultur! Welch
ein Irrtum! Die Badewanne, das Wasserklosett, das Auto, die Rohrpost, das
alles sei Kultur?

Wir haben vergessen, daß Kultur kein Werkzeug des Lebens ist, sondern die
Form des Lebens! Und wo ist diese Form? Wo ist die Ausgeglichenheit von
Geist und Körper, dieses körperlich „Ansprechende" und dieses geistig „Be-
schwingte"? Wo ist die Einheit von Geist und Körper? Hat die Großstadt nicht
diese Einheit gespalten und den Geist an die „Presse" und den Körper an die
Maschine gefesselt? Wie soll hier eine Form des Lebens wachsen, wenn das
Leben in seine Bestandteile zerlegt und zertrümmert wird?

Die neue Form wächst aus der Verneinung der Unform. Zunächst aber gilt es,
die Verneinung der Unform in das Bewußtsein der Menschheit zu bringen! Ein
großes Stück Führerarbeit und wahrhafter Kulturarbeit liegt hier vor uns! Noch
dürfen wir nicht hoffen, in unser Leben eine Form hineintragen zu können, die
sich mit den höchsten Spitzen höchster Kulturen vergleichen ließe. Unsere
nächste Arbeit ist die Rückführung des Amorphen in das Organische, des Un-
belebten in das frei und natürlich Schwingende. Erst nach der Auflösung des

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