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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

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Wagner, Martin: Städtebau als Wirtschaftsbau und Lebensbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0211

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stehen! Füllt nicht neuen Wein in alte Schläuche! Uferlose Stadterweiterung war
ein Irrweg! Die Städte verlangen nach neuer Grundlage! Nicht die Verbes-
serung der „Einrichtungen" ist das Entscheidene. Die neue Oekonomie und die
vollendete Maschine greift an die Fundamente! Die ganze Anlage bestimmt
den Erfolg, den Reichtum und das Glück! Darum ganze und volle und abge-
schlossene Städte nach einem fertigen Plan! Laßt uns Städte bauen, wie wir ein
Haus, eine Fabrik und ein Warenhaus bauen: fertig, formvoll, geistig und sozial
beherrscht, menschlich, gesund und ökonomisch! Laßt uns neue vollendete
Städte mit vollendeten Maschinen bauen!

Was machten wir bisher? Jeder Umbau einer alten Stadt kostete uns dreimal
mehr, als jeder Neubau einer Stadt auf jungem Boden. Der Neubau einer Stadt
nach der Idee der vollendeten Maschine ist aber 3 mal reicher im Ertrage, als
jede alte Stadt und ihre Stadterweiterung. Und da wollen wir uns scheuen, dem
Kapital den Weg der 3 mal 3 gleich 9 mal besseren Rente zu empfehlen?

Was machten wir bisher? Berlin z. B. baute in jedem Jahr in ein wahres Chaos
von Straßen, von Leitungen, von Verkehr usw. hinein eine ganze Stadt von 60
bis 80 000 Einwohnern mit allen Kirchen und Schulen, Straßen und Brücken,
Werken und Fabriken, Läden und Warenhäusern. Und das soll auf Neuland nicht
3 mal billiger und 3 mal besser zu machen sein?

Was machten wir bisher? Für den null- oder zweistündigen Arbeitstag einiger
weniger reicher Leute bauten wir Einzelhäuser inmitten großzügiger Gärten
und für den acht- und zehnstündigen Arbeitstag des werktätigen Volkes bauten
wir die licht- und luftlosen Todespaläste und Mietskasernen. Wie wäre es,
wenn wir auf jungem Boden jede Wohnung in einen 500 bis 600 qm großen
Garten setzen und für dieses Bauland mit einfachsten Straßen die Hälfte von
dem Preise aufwenden würden, den wir heute den Bodenspekulanten für ihre
Monopolpreise in der Großstadt zahlen?

Wo liegen die Hindernisse für planwirtschaftlichen Städtebau? Wo anders als
dort, wo auch das Kapital das letzte Vertrauen zum alten Städtebau verloren
hat! Das Kapital verlor das Vertrauen zur alten Stadtwirtschaft und zum alten
Städtebau, weil dieser mit den Maschinen spielte, mit dem Wohn- und Arbeits-
boden spielte und spekulierte, mit den Aktienwerten spielte, mit den Existen-
zen und Vermögenswerten spielte und die Renten bis auf die Nullinie ver-
nichtete. Das Vertrauen des Kapitals wurde verspielt, weil der Stadtkörper als
solcher erneuerungsbedürftig wurde, weil kein Grundbesitzer, kein Geschäfts-
mann, kein Fabrikunternehmer, aber auch kein Gesetzgeber jemals daran
gedacht hat, die laufenden Abschreibungen der Immobilien auch für ihre
Erneuerung sicher zu stellen. Wo ist jemals eine solche Erneuerung erfolgt?

Hindernisse? Handeln wir wie ehrliche Kaufleute mit ehrlicher Bilanz! Nehmen
wir die Abschreibungen alter Werte und verwenden wir sie für den Neubau
junger Städte! So zu handeln ist unsere Pflicht gegenüber der Jugend, der
kommenden Generation und dem Fortschritt!

Warum nur „Fünfziger" bauen? Weil die kleinere Stadt von 50 000 Köpfen noch
ihr eigenes Raumleben hat, weil sie noch ihren Nahrungsraum im engsten Um-
kreis zur Entwicklung und zur Blüte bringen kann, weil in ihr Stadt und Land
noch zu einer gefühlsmäßigen wie ökonomischen Einheit wird, weil die vollen-
dete Maschine größere Einheiten nicht benötigt, und alle Ballungen von

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