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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

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Michel, Robert: Internationale Automobil- und Motorradausstellung 1933 Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0311

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Aus dem Berliner Tageblatt 19. II. 33.

Die neue Form des Autos.

Zum Karosserie-Problem geben wir hier dem Maler
Rolf Nitzky das Wort, der den ästhetischen und rein
künstlerischen Standpunkt beim Automobilbau vertritt.

Die Redaktion.

Bei der äußeren Gestaltung des Wagens spricht der
Geschmack der Frau ein entscheidendes Wort. Farbe,
Linie und Form — von der Maschine versteht sie nur
wenig, wie die meisten Selbstfahrer — entscheiden.
Die Frau will ihren Wagen streicheln. Mit dem passen-
den Kleid im Wagen sitzend, will sie eine Augenweide
sein. Sonst kauft sie den Wagen nicht!
Die Maschine ist natürlich das Wichtigste. Aber davon
sprechen wir hier nicht. Man sieht sie auch nicht; hört
nur ihren Klang. Man freut sich über ihre Geschwindig-
keit, und ärgert sich, wenn sie einmal versagt,
in der Ausstellung am Kaiserdamm ist man verblüfft von
dem Mut, mit dem die deutsche Automobilindustrie an
die Gestaltung der neuen Formen herangeht. Ziel-
bewußt hat sie einen Weg beschritten, auf dem es kein
Zurück mehr gibt. Alte Ansichten sind aufgegeben;
alles ist in neuer Bewegung. Die Stromlinie, mit der man
vor Jahren einmal schüchterne Versuche gemacht hat,
bevor noch das Publikum reif dazu war, ist heute der
Ausgangspunkt einer neuen Epoche.
Wenn auch noch nicht klar umrissen — sie geht noch
in Kinderschuhen —, tastet sie sich doch vorwärts mit
dem Instinkt, der jeder festen Ueberzeugung anhaftet:
geradeaus! Begreiflich, daß bei dem Kampf um neue
Formen Irrtümer und Fehlgriffe entstehen. Daß in
manchen Fällen über das Ziel hinausgeschossen wurde,
ist verzeihlich.

Manchmal werden bei der Konstruktion der Stromlinien
Formen gebildet, die dem Gehäuse der Schildkröte
entnommen zu sein scheinen. Schildkröte und Ge-
schwindigkeit — ein bischen grotesk! Es ist ohnehin
sehr schwer, das Publikum so plötzlich an Umwälzungen
zu gewöhnen.

Die hohe Kunst eines fähigen Ingenieurs ist nicht immer
begleitet von demselben Grad des Formen- und
Farbengeschmacks. Es ist dies auch ein anderes
Terrain, auf dem man sich als Fremder leicht verirren
kann. Hier liegt ein weites Feld vor uns, das nur von
Berufenen bearbeitet werden kann.
Viele der schön geformten Wagen, deren Sitze mit
kirschrotem Leder oder buntgemustertem Wollstoff be-
zogen sind — eine Verlegenheit, die vermieden werden
könnte —, verlieren für den kultivierten Käufer an
Wert, mehr als der Fabrikant es weiß.
Betrachtet man den Längsschnitt des Wagens, so findet
man oft, daß die Lehne des Fondsitzes niedriger ist,
als die des Vordersitzes. Die Rückwand des Verdecks
wächst unvermittelt in die Höhe und wird gleichzeitig
nach unten gezogen. Die Behaglichkeit des Innen-
raumes leidet unter dieser Unausgeglichenheit der
Linie, die nach

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Unschöne Form, (nach Nitzky)

Bad line Forme laide

Jugendstil! Das war doch eine solche „Vermanschung", wie sie heute im
Karosseriebau herrscht. Wir haben jetzt die brauchbaren, ihrem Zweck ent-
sprechenden „Fahrgestelle", warum sitzt darauf „Jugendstil"? Man sagt, weil
es das Publikum so wünscht! Ist das so? Dann hilft nur Aufklärung: Vor 10 Jah-
ren haben u. a. Dixi und Audi einen Stromlinienwagen auf der Ausstellung
gezeigt; 14/35 PS Chassis; mit normaler Sportkarosserie erreichte das Chassis:
maximal 85 Km/Std., mit dem Stromlinienaufbau maximal 110 Km/Std. Dipl. Ing.
H. Eckert, Stuttgart, hat in dieser Richtung eingehende Versuche und Berech-
nungen für Kleinwagen angestellt. Seine Ergebnisse: Gerade beim Kleinwagen
ist jede Leistungsersparnis, durch Herabsetzung des Luftwiderstandes in An-
betracht der wenigen PS, ein Plus. „So beträgt z. B. der Luftwiderstand eines
normalen 5/25 PS Kleinwagens von 1,6 m2 Querschnittfläche und 800 kg Ge-
wicht bei 75 Km/Std.Geschwindigkeit das Doppelte, der eines großen Wagens
mit 2,4 m2 Querschnittfläche und 2000 kg Gewicht, nur das 1,2fache seines
Rollwiderstandes". Hie Wissenschaft!

Hie Kunst: Vertreter des ästhetischen oder künstlerischen Standpunktes seien
gewarnt. Ihre Vermanschungen der Eigengesetzlichkeiten stempelt sie zu
Wegelagerern, die aus dem Hinterhalt unbewußt die Aerodynamiker ab-
schießen. Die Mehrzahl der Menschheit empfindet Schienenzepps, Segelflug-
zeuge als schön: also ist doch die aerodynamisch einwandfreie Form, in sich
die ästhetisch einwandfreie Form. Wenn gerade diese Gruppe verlangt, daß
die Aerodynamiker ihnen die spezifisch entwickelten Formen (zu vernünftigem
Ausbau, zu richtiger Farbgebung, oder Proportionierung bezgl. Fenster usw.)
zu gemeinsamer Arbeit überlassen, dann erfüllen sie ihre Aufgabe; sie werden
so: notwendig!

ProfessorGropius hielt am 6. II. in Berlin bei Adler einen Vortrag vor der Presse
über die neuen Karosserien. Nach seiner Meinung unterliegen Automobil und
Haus als Körper, als Raum, u. a. gleichen Formgesetzen und gleichen optischen
Gesetzen; er zeigte hierzu das bekannte Bauhaus-Lichtbild: Optische Phäno-
mene. (Z. B. von 2 gleichgroßen, nebeneinander stehenden Quadraten ist das
eine horizontal gestreift, folglich empfinden wir dieses als Rechteck usw.)

Gleiche Formgesetze? Wir bedauern hier aufrichtig diesen Irrtum. 1931 in
Heft 3 und 1932 in Heft 9 befinden sich neben abgebildeten Gropius-Karosse-
rien Hinweise: Aerodynamisches Institut Göttingen und unser Mitarbeiter
Dipl. Ing. Kollmann, 1932 Heft 1 Aerodynamik im Automobilbau pflichtet Dipl.
Ing. Friedmann bei, in der Frage: Bauhaus Karosserie.

Professor Gropius erachtete es als wünschenswert, daß endlich die deutschen
Automobilfabriken in puncto Karosserie nicht immer zum Ausland hinüber-
schielen, (Chrysler-, Packard-Copien) sondern eigene Formen entwickeln
sollten, denn es sei besser, sich formal vom Ausland unabhängig zu machen
und die Führung zu ergreifen. Ein wohlgemeinter Rat! Hätten Verantwortliche
nicht „geschielt", sondern „geschult" im Ausland, bei Jaray oder Burney, dann
hätten wir längst die Allgemeinheit überzeugt, daß „Luftwiderstände" und
ihre „Ueberwindungsformen" international sind, wenn auch Chassis, vor allem
Innenausbau, Eigenheiten des Ursprungslandes aufzeigen müssen. So hätten
wir längst die wirkliche Führung ergriffen, denn gerade unsere aerodynami-
schen Institute haben Weltruf.

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