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Pantheon — 1.1928 = Jg 1.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.57094#0109

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DIE AUSSTELLUNG DER WIENHAUSENER BILDTEPPICHE IN BERLIN

Fast scheint hier eine Vorahnung der hundert Jahre
späteren Statuetten des jüngeren Pisano und seines
Kreises gegeben. Die zeichnerische Exaktheit ist noch
ein Erbe des 12. Jahrhunderts, doch ist das lineare
Parallelgefältel schon durchaus räumlich empfunden.
Die Köpfe sind trotz ihrer relativen Kleinheit in Be-
ziehung zum Ganzen monumental, die Backenkno-
chen reichlich, wogegen die eigentliche Unterteilung
des Gesichtes in Augen, Nase und Mund eng zusam-
mengedrängt und klein ist. Die Ableitung des Stiles
ist nicht ganz leicht. Immerhin mögen byzantinische
Einflüsse denkbar sein, man vergleiche etwa darauf-
hin die, allerdings im Motiv ganz byzantinisch ge-
triebene Platte aus Torcello im South Kensington
Museum (Venturi III, 379). Doch ist auch die enge
Typenverwandtschaft mit den karolingischen Stuck-
figuren imCividale ganz auffällig, wenngleich selbst-
verständlich jedes Formdetail in einem ganz anderen

Sinn sich darbietet. Die Datierungsfrage ist wohl
nicht sehr vieldeutig, da ein weiteres Hinaufrücken
sich durch Faltenstil und Proportion von selbst ver-
bietet. Um die Jahrhundertmitte ist die Proportion
bereits viel kürzer. Die künstlerische Formel ist wohl
eine bodenständige, die mit der gleichzeitigen frans
zösischen Kunst nur äußerst locker zusammenhängt.
Frankreich pflegte damals mit antikischer Schulung
jene von rhetorischem Pathos erfüllten, den Körper
stark umreißenden Parallelfalten, den wunderbar
fortgeschrittenen Stil etwa des Nikolaus von Verdun.
Manche Zusammenhänge mögen diese oberitalie-
nische Kunst mit Süddeutschland verbunden haben,
da dieApostelserie um 1220 imBayerischen National-
museum vielleicht doch Anklänge erkennen läßt,
deren unmittelbarer Übertragungs- und Ausgangs-
punkt wohl in der — verlorenen — Salzburger Mo
numentalplastik zu suchen ist.

DIE AUSSTELLUNG DER WIENHAUSENER BILDTEPPICHE IN BERLIN

Daß in einigen Kirchen Norddeutschlands Schätze an mittel-
alterlichen Textilien verwahrt werden, denen, als Ganzes ge-
nommen, der Kirchenbesitz anderer Länder kaum Gleich-
wertiges zur Seite stellen könnte, darf als bekannt angesehen
werden. Wie wenig Kunstfreunde aber gibt es, die sagen
können, daß sie auch nur die Mehrzahl dieser Denkmäler
mittelalterlicher Stickerei und Weberei wirklich kennen gelernt
haben 1 Die Halberstädter Wandteppiche freilich haben Welt-
ruf, nicht nur weil sie die einzigen romanischen Bildwirkereien
sind, die existieren, sondern auch weil sie im Dom jederzeit
sichtbar und zugänglich sind. Aber so günstig sind die Raum-
verhältnisse anderwärts nicht. Die Marienkirche in Danzig hat
mehr Kirchengewänder aus den herrlichsten Seidenbrokaten
und Samten von Lucca und Venedig aus dem 13. bis 15. Jahr-
hundert, als in ganz Italien zu finden sind; zu einer über-
sichtlichen Schaustellung so reicher Bestände gewähren jedoch
die Kirchenräume keine Möglichkeit. Und noch beengter
sind die beiden Damenstifte Lüne in Lüneburg und Wien-
hausen bei Celle, die aus ihrer Klosterzeit die umfangreichsten
Bestände niedersächsischer Stickereien romanischer und go-
tischer Zeit geborgen haben.
Während im Kloster Lüne, dessen Textilien jährlich auf einige
Tage ausgelegt werden, das Schwergewicht auf den spätro-
manischen Altardecken in Weißstickerei liegt, hat das im
13. J ahrhundert gegründete Zisterzienser»N onnenklosterWien-
hausen an der Aller eine unvergleichliche Folge von 8 großen
Wandteppichen aufzuweisen, die von 1300 bis zum Ausgang
des 15. Jahrhunderts reichen. Sie sind in der kunstgeschicht-
lichen Literatur schon seit langem erwähnt, haben aber erst

1927 durch Dr. Marie Schuette (Gestickte Bildteppiche des
Mittelalters, I, Hiersemann Leipzig) eine vollständige, ihrer
Bedeutung würdige Veröffentlichung und mustergültige Be-
arbeitung gefunden. Allein für den lebendigen Eindruck der
Originale kann auch der monumentale Folioband keinen
Ersatz bieten; es ist daher als ein höchst dankenswertes Unter-
nehmen zu begrüßen, daß es den Bemühungen der beiden im
Berliner Künstlerhaus ansässigen Kunsthandlungen von Jo-
hannes Hinrichsen und Paul Lindpaintner gelungen ist, die
Teppiche aus ihrer Verborgenheit für die Dauer einer Leih-
ausstellung (7. Januar—11. März) zu erlösen und sie im Künstler-
haus aller Welt vorzuführen.
DieniedersächsischeEntstehungderTeppicheimbraunschweig-
lüneburgischen Gebiet ist durch die plattdeutschen Auf-
schriften und Wappen außer Frage gestellt; daß sie von den
Nonnen im Kloster Wienhausen gearbeitet sind, ist nicht er-
wiesen, aber sehr wahrscheinlich. Es fällt auf, daß die welt-
lichen Darstellungen — auf drei Teppichen die Tristansage
und auf einem vierten Jagdszenen — den geistlichen Bildern
die Wage halten. Nur der jüngste Teppich mit der Kindheit
Mariä und der Elisabethlegende trägt in der Darstellung des
Klosterspatrons St. Alexander einen deutlichen Flinweis auf
Wienhausen. Es kann jedoch nicht übersehen werden, daß die
ganze Folge durch die gemeinsame Technik der Wollstickerei
auf Leinwand, die als »Klosterstich« bekannt ist, fest zusammen-
gehalten wird. Auf den Leinengrund sind die Konturen der
Bilder, schwerlich ohne die Hilfe von berufsmäßigen Malern,
in schwarzer Farbe vorgezeichnet. Die Stickerei füllt, den
ganzen Leinengrund lückenlos bedenkend, die Flächen mit

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