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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 3
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Fontana, Oskar Maurus: Karl Gustav Vollmöller
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Hamann, Richard: Gewand und Plastik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0114

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Karl Gustav Vollmöller.

vor allem, eö ist ein Wille zum Drama darinnen.
Ein solch schöner, herrlicher Wille, daß man Höchsteö
erwarten kann. Von diesem Drama wird man einstens
sagcn können, eö war nur ein Weg, nur ein Tasten,
nur ein Frühling — später einmal, wenn es Sommer
bei Vollmöller geworden sein wird. Jn diesem Früh-
ling sind aber schon die Blumen erwacht, und der
Himmel ist durchsichtig, und Schwärme von Vögeln
kreisen um den blanken Kirchturm. Und man sagt sich
verwundert — und hält den Atcm an —: Welch Som-
mer wird das werden! Über den Gehängen ruht die
Sonne. Welch schwere dunkle Trauben trägt der Wein-
ftock dort! Wie glänzt das weite Land und welch
Bogen ift darüber gespannt: Erfüllung.

Ein Frühling. Man grolle doch nicht, man lege
doch die lächcrlichen Germaniftenbrillen beiseite und
sreue sich dieses Frühlings. Man gehe durch seine
Gärten, Wälder, Schollen, den Fluß entlang, den
Berg hinaus. Man ruhe in den Wiesen, betrachte die
fliegenden Wolken und lächele über den eitlen Mann,
der da klagt: dieser und jener Weg sei noch schlüpfrig,
noch nicht reinlich genug. Man zause auch diesen er-
bärmlichen Wicht, so er einem begegnet.

Wenn Vollmöller von seinem Grafcn Tott sagt:
„Er ist groß und sehr blond", so sehen wir den
ganzen Menschen vor uns, diesen schwersälligcn gul-
mütigen Riesen, hinter dem aber der Leidende, der Ge-
fühlsmensch sitzt, der sehr Blonde. Die Fabel vom
„deutschen Gemüt" ist einc der Wahrheiten, mit der
wir Deutschen uns am meiften mühen. Dieser Graf
versteht sich nicht anzupassen, überzuleiten, zu offenbaren.
Sein Schweigen spricht am lauteftcn. Und darum
ftößt ihn alles zurück, wird er aller Menschen Feind.
Auf allen Wegen sucht er GuteS, aber immer ist Böses
das Ende. Der ewige GregerS Werle. Da bereitet
dieser Graf seinem Freunde, einem Franzosen, Haus und
Hos, damit der mit seiner Frau nach der Hochzeitöreise
alles auss beste finde. Und dieser Graf hatte dieselbe
Frau geliebt seit jenem Tage, wo er sie lange vor
ihrer Hochzeit sah. Seinem Frcunde wird sie Braut
und Gemahlin. Als echter Deutscher opfert er sich,
meuchelt er sich, sein Leib soll das Glück der beiden
tragen. Aber die Menschen kommen, Triebe erwachen,
diese Frau flirtet mit ihm, cr birgt sich tiefer in seinen
Mantel, diese Frau haßt ihn darauf. Er aber bleibt
stumm; erst bis der Freund zwischcn Tod und Leben
ringt, sagt er sein Verborgenstes. Aber nun ver-
fteht ihn die Frau nicht mehr. Die Fäden wirren sich,
das Opfer war zu groß, er ist kein Held, er sucht das
Freie. Aber da erscheint Casanova, er gewinnt die
kokette Schöne, sie wollen sliehen, der Graf will sie
halten; erst als alleS verloren, wirft er sein Leben in
einem Zweikampf weg. Casanova flieht. Der Freund
und Sie sind gerettet. Die andern aber glauben, der
Deutsche sei für eine welsche Dirne in den Tod gegangen,
er aber lächelt und blickt auf Sie und stirbt.

Ein deutsches Leben. Jronie und Schwermut und
Tragik. Eklektische Iüge dazwischen. Der Gras von
Charolais und Shaw nicken. Aber sie werden Eigenstes,
das keiner besitzt alö Vollmöller allein. Uber fremde
Seen flog ein Vogel und sah sie, sein ift das Bild in

seinen Augen. Und ganz gewiß steht der Mensch
Vollmöller dahinter, vor allem aber der Deutsche.
Denn nach seinen zwei lebensgierigen Dramen, die er
ehedem geschaffen, ist dies eine Tragödie des Nicht-
lebenkönnens. Resignation spricht daraus und ganz
gewiß Sehnsucht nach diesen welschen LebenSkünstlern.
Fast scheint es, als wenn auch Vollmöller in sich den
Deutschen, den sehr Blonden entdeckt hätte. Und so
ist vielleicht „der deutsche Gras" die Brücke von dem
sehnsuchtövollen Jüngling zu dem satten Manne, der
sich ftill in den Reigen sügt.

Diese Tragikomödie gehört zu dem Feinsten und
Schönsten, was uns die jungen Leute von I9OO ge-
bracht haben. Wer den dntten Akt schreiben konnte,
diese sehnsüchtig schöne Szene zwischen dem Grafen und
der Geliebten seiner Seele, wer diesen deutschen Grasen
sehen und gestalten konnte, der gehört uns an, wenn
auch Iiel und Ende nicht Beginn und Ansang decken
können. Er gehört uns an, denn er ist ein Dramatiker,
ein Dichter der Menschcn und Schicksale. Unser Leben
gewinnt in seinem Leben an Reichtum und Erhaben-
hcit — sein Leid ist unser Leid. Aus diesen Frühling
wird ein Sommer folgen, wie wir wenige geschaut
habcn.

Welch ein Sprachschöpser Vollmöller ist, zeigt „der
deutsche Graf". Und vor allem hier spricht, hier schwelgt
kein Lyriker, sondern cin Dramatiker haut seine Worte
aus dem Gestein. Man lese doch den dritten Akt. Hier
spricht der Gras mit seinen Pächtern, er spricht Gewöhn-
liches, aber seine Gedanken sind wo anders. Wunder-
voll ist diese dunkle Wolke ob allem, wie dieser zer-
risscne todwunde Mensch im alltäglichen Gespräch immer
mehr verblutet. Wundervoll ist es, wenn er schmerz-
lich, wehmütig und bittend zu diesen Menschen spricht,
die ihn nicht verstehen: „Wir wollen unö wie gute
Christenmenschen vertragen." Oder im selben Akt, da
der Gras der Frau, die ihn haßt, den Glanz seiner
Seele sür sie zeigt. Sie aber findet kein anderes Wort
sür den Gehaßten, als: „Graf Tott, Sie sind mir
weniger alö ein Himd." Sie tritt an ihm vorüber
rauschend in ihr Boudoir. Spricht so ein Lyriker? Welche
Kaskaden hätte er steigen lassen, welche irisierenden
Worte voll Duft und Schwere, die aber insgesamt
nicht die herrliche Plastik aufwägen! „Graf Tott, Sie
sind mir weniger als ein Hund." Ein Dramatiker!

OSkar MauruS Fontana.

ewand und Plastik.

Um verständlich zu machen, wie ein Gewand
plaftische Form und plastische Haltung erlangen
kann, muß ich kurz daran erinnern, in welchen psychischen
Bahnen sich der plastische Eindruck bewegt, worin das
Wesen des Plastischen bcsteht. Plastisch nennen wir
einen Eindruck, der uns einen Körper in seiner Form
klar und bestimmt, sest und scharf erkenneu läßt. Da
aber das, was wir sehen, die sarbigen Nuancen, die
Unterschiede von hell und dunkel, nichts von dieser Feftig-
keit ausweisen, so verstehen wir die körperliche Form
als besonderen Eindruck nur, wenn ein gesehenes Bild

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