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Studien und Skizzen zur Gemäldekunde — Wien, 1.1913

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IV. Lieferung (Dezember 1913)
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Aus dem Semmeringgebiet, [1]: (das naturbild, die Besiedelung, Verkehrswege, alte malerische Ansichten)
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https://doi.org/10.11588/diglit.20638#0107

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Zeit, als der Bergsatte] noch eine große Alpenwiese war, nur von einer
einzigen breiten Straße, der großen Reichsstraße und dem unscheinbaren
vernachlässigten älteren Wege durchschnitten, nur mit einem einzigen Wirts-
haus bedacht, das in bescheidener Ausdehnung und in der Form länd-
licher Bauweise an der Grenze Niederösterreichs und Steiermarks auf stei-
rischem Boden die Landschaft zierte. Es war der alte Gasthof zum Erz-
herzog Johann, mit Küchengarten, Obstbäumen dabei, mit einer gesunden
Kegelbahn und reizenden Wirtstöchtern. Außer dem Gasthof und dem
bekannten Denkmal kein nennenswertes Bauwerk weit und breit. Wo jetzt
die Villenstraße zum Hotel Panhans von der Triester Reichsstraße abzweigt,
gab es ein Haferfeld, das an Kultur gemahnte, sonst allenthalben eine
schier unberührte Natur, duftig, ruhig, für das junge, hoffnungsvolle Ge-
müt, das ich hinbrachte, geradezu entzückend. Zur Göstritzalpe hinauf
und zum Triangulierungszeichen auf der Spitze des Sonnenwendsteins nur
Holzwege und Steige für Hirten und Jäger. Die seltenen Besuche aus
der Ferne nahmen sich gewöhnlich einen Führer, um den Weg auf den
Berg nicht zu verfehlen. Nahrungsmittel mußten von Fall zu Fall hinauf-
geschafft werden. Denn das Schutzhaus wurde erst 1886 errichtet. Um
den Semmeringsattel und auf ihm wurde es seither immer lebendiger. Das
Südbahnhotel wurde errichtet; es erhob sich Hotel Panhans, beide seit
der Gründung durch große Zubauten erweitert. Das Hotel Erzherzog
Johann wurde als modernes Schloß an die Stelle des alten Wirtshauses
gesetzt, und jüngst ist noch ein riesiges Paiace-Hotel dazu gekommen, ganz
abgesehen von kleineren Unternehmungen zur Verpflegung von Fremden
an anderen Stellen. Ein Landhaus reiht sich heute an's andere, und schon
oben auf dem Pinkenkogel gibt es auch Villen und Wohnstätten. Neue
Fahrstraßen und Fußwege durchfurchen in allen Richtungen den Boden,
oder sie sind hoch aufgemauert, den Böschungen förmlich abgerungen. Wo
sonst im Wald das scheue Reh oder gar eine ängstliche Gemse äste, fährt
man jetzt mit dem Fiaker, und zu Zeiten wandern Tausende von Groß-
städtern in der Gegend umher, nicht immer die Rechte der Besitzer von
Wiesen und Wäldern beachtend. Wenn Tausende und Abertausende
sich mit Blumen beladen, die sie in der Gegend gepflückt haben, wenn
viele sogleich die ganzen Pflanzen fortschleppen, so merkt man das
schließlich auch im allgemeinen Bilde. Der heutige Semmeringsattel kommt
mir hie und da vor, wie ein bunter Falter, von dem man die leuchtenden
Schüppchen abgerieben hat. Die Zierde der Matten, Gentiana verna, Pri-
mula farinosa und an den Bachrändern das dunkelviolette Geranium, an
den trockeneren Abhängen die Pyrola rotundifolia, das herrliche Wunder-
blütchen und noch manch anderes ist im Bereich des großen Fremden-
verkehrs so gut wie ausgerottet. Mit der urwüchsigen Natur ist's dort
also vorbei, auch mit der äußerlichen Ruhe, zumal wenn Täler und Schluch-
ten von dem Gesurre und Getute der Automobile, von dem Geknatter
der Motocycls widerhallen. Wer ungestört dem Gesumme der Käfer und
Fliegen und dem Gesang der Waldvögel lauschen will, wer feinerer Natur-
beobachtung nachgeht, muß sich eben von den Straßen fernhalten und wei-
ter in die mehr einsamen Täler des Gebietes wandern, deren es noch ge-
nug gibt, oder auf die schwerer zugänglichen Höhen der Otterberge und
der Höhen gegen den Wechsel hin. Sogar der viel besuchte Sonnen-
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