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Studien und Skizzen zur Gemäldekunde — Wien, 1.1913

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Aus dem Semmeringgebiet, [5]: die Märtenbrücken
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https://doi.org/10.11588/diglit.20638#0249

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die aite karolinische von !728 und die neue von ungefähr 1840. Zwei tief
einschneidende Schluchten, steil vom Sonnenwendstein abfallend und kleine
Bäche leitend, vereinigen sich an dieser Stelle. Man darf sie im Sinne des
alten Ausdruckes als höchst pittoresk bezeichnen. Freilich muß dabei jedes
subjektive Element ausgeschlossen werden und das „pittoresk" ist nicht als
„malerisch" in neuem Sinne aufzufassen, der bald dies, bald das, zerklüftete
Felsen, weite Ebenen, dichten Wald, baumlose Steppen als besonders ge-
eignet zu malerischer Darstellung annimmt, ln unserem Falle ist „pittoresk"
in beschreibendem Sinne zu nehmen. Schluchten mit felsigen Flöhen darüber.
Mannigfache, kräftige Modellierung, die einen raschen Wechsel des An-
blickes bedingt, Schritt für Schritt, zumal wenn heller Sonnenschein die
Formen leicht verständlich macht. Aber auch grausig düster kann diese Ört-
lichkeit aussehen, wenn finsteres, grobes Wetter herrscht.
ln neuer Zeit heißen die Brücken dort Mirten brücken und die Schlucht,
die an der Westseite des Bergkegels emporsteigt, wird Mirtengraben ge-
nannt. Von Mirten ist aber keine Spur zu finden. Die neuen Benennungen
sind mißverstandene Schreibungen von Märtenbrticke und Märtengraben.
Denn sie beziehen sich auf eine alte Kapelle oder einen alten Bildstock,
die dem Sankt Martin (Märten, Mörten) geweiht waren. So berichten
wenigstens die alten Ortskundigen. Diese Ableitung der Benennungen von
Sankt Martin ist in den Aufschreibungen des alten Huebmer in Schottwien
festgehalten und von M. Becker im Druck mitgeteilt in dem Buche: „Nieder-
österreichische Landschaften" (1879, S. 17). Näheres im Führer auf den
Semmering von A. Silberhuber und J. Rabl. Auch von einer „Mörder-
brücke" war die Rede.*) Der zuweilen düstere Anblick der Stelle mag auf
diese Benennung geführt haben. Oder hatte man Kenntnis davon, daß bei
der alten Brücke Napoleon 1. hätte ermordet werden sollen? Auch die alte
Nachricht vom Räuberwesen im Zerewald (der Semmering hieß ehedem
Zerewald**) mag den greulichen Namen verschuldet haben.
Über die Inschrift auf dem Schlußstein der Märtenbrücke und über
die Entstehung des Bauwerkes im Jahre 1728 berichtete ich in der IV. Lie-
ferung der „Studien und Skizzen zur Gemäldekunde". Nun hole-ich An-
sichten nach, die sicher zur Kenntnis der Sache einiges beitragen. Zunächst
bringt Tafel LXX eine künstlerische Ansicht des Märtengrabens mit den
beiden Brücken. Die Vorlage ist ein Steindruck von (Anton) Rothmüller,
die nur wenig verkleinert in Netzdruck (Autotypie) wiedergegeben wird,
ln bezug auf die Form der Brücken und auf die Lage der Bauwerke kann
man das Blatt als recht zuverlässig betrachten. Da schießt aber ein Wild-
bach unter der alten Wölbung durch. Das ist eine Übertreibung des Wasser-
reichtums. hinter der alten Brücke sieht es gar aus, als stürzte ein mächtiger
Wasserfall zu Tal, dessen Zerstäubung eine förmliche Wolke bildet, ln ge-
schichtlicher Zeit ist an der Stelle der Märtenbrücken wohl niemals ein
Wasserfall zu sehen gewesen, ebensowenig als heutzutage. Sogar bei plötz-

*) M. Becker a. a. O. verweist in dieser Beziehung auf A. Schmidts neue Be-
arbeitung des Jennyschen Reisehandbuches (1844).
**) Auf die Ableitung des Namens Semmering, die nicht unbedingt feststeht,
gehe ich nicht weiter ein. M. Becker handelte eingehend davon. Seither ist mir unter
anderem ein Aufsatz von J. W. Nagl bekannt geworden in „Neunkirchner Bezirksbote,
Illustrierter Volkskalender für 1896", S. 126 ff.
 
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