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1891. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.
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organischen Lösung des Problems bezeichnen
möchte, bei denen also das Kreuz mehr natür-
lich aus dem Unterbau sich entwickelt, heraus-
wächst. Dahin rechne ich z. B. ein Reliquien-
kreuz der Kirche zu Konitz (»Westpr. Kunst-
denkmäler« Heft 4, S. 375, Beilage Nr. 4). Der
Fufs ist achttheilig mit vier grofsen und vier
kleinen runden Blättern; der Knauf besteht
aus einem grofsen, mit Email verzierten und
mit Glasflüssen besetzten, halbkugelförmigen
Knopfe; auf demselben er-
hebt sich noch ein kurzer
achttheiliger, mit Kanten-
blumen verzierter Schaft
und auf diesem erst das
Kreuz, allerdings auch an
dem unteren Kreuzarme
kleeblattartig geschlossen.
Nach dem Urtheile des
Herausgebers ist der Fufs
jünger als das Kreuz, dieses
dem XV., jener einer Restau-
ration des XVI.Jahrh. ange-
hörig. Ich kann das nicht
recht glauben; aber es mag
sein, und die Verschieden-
heit der Kantenblumen des
Schaftes und der des Kreuzes
scheint dafür zu sprechen;
aber immerhin ist die Ein-
heit des Stiles unverkennbar
und wie sie auch das Bestre-
ben, wenn auch unter An-
wendung jüngerer Formen,
ein einheitliches Werk her-
zustellen, und das zeigt sich
hauptsächlich in der Anlage
und Verzierung des Schaftes.
Glücklicher noch ist der
Uebergang vom Fufse zum
eigentlichen Kreuz erreicht an einem Altar-
kreuze der Kirche zu Dirschau (a. a. O. Heft 3,
S. 170, Beilage Nr. 2). Der Fufs ist ein unregel-
mäfsiges Sechseck und mit eingravirten Szenen
aus der Leidensgeschichte des Herrn geschmückt,
aufserdem mit zwei Engeln, welche eine Re-
liquienkapsel tragen. Ueber dem Fufse erhebt
sich ein kleiner, offener, mit Strebebogen und
Wimpergen in rundbogigen Formen ausgestat-
teter Kapellenbau, darin eine Pietä. Aus dieser
Kapelle wächst zunächst ein sechseckiger Schaft
heraus, der in einem zweiten Stockwerke sich
verjüngt, und an diesem erst setzt das Kreuz
an, viereckig, aber mit abgeschrägten Kanten,
die wieder mit Rankenwerk besetzt sind. Der
sonst den Uebergang erschwerende Vierpafs ist
weggeblieben.
Sehr natürlich und geschickt ist der frag-
liche Uebergang bewirkt bei einem Reliquien-
kreuz der Kirche zu Rössel in Ermland, dessen
Abbildung wir untenstehend bringen. Die Ge-
sammthöhe des Kreuzes beträgt 92 cm, die des
Fufses 46, die des Kreuzes
46, die Breite der Kreuz-
arme 33, einschliefslich der
Ornamente 36 cm. Der Fufs
ist sechstheilig, aberunregel-
mäfsig, mit glatten Flächen,
während doch sonst Gravi-
rungen nicht leicht zu fehlen
pflegen. Die sechs Flächen
werden nach mäfsiger Erhe-
bung zusammengefafst durch
einen sechsseitigen Kapel-
lenbau mit Strebepfeilern,da-
zwischen Mafswerksfenster,
bei denen silberne Plättchen
die Stelle des Glases ver-
treten. Darüber eine Zinnen-
kr.önung mit Schuppendach;
also auch hier wieder das
Motiv eines Thurmbaues.
Auf dem Dache setzt sich
der Schaft sechsseitig fort
mit zwei flachbogigen Ni-
schen auf jeder Fläche. Da-
rüber erweitert sich der Auf-
bau zu dem Hauptknaufe,
wieder ein Kapellenbau mit
weit ausladenden Strebe-
pfeilern u. Strebebogen, da-
zwischen tiefliegende Fen-
ster mit rundbogigem Abschlufs und äufserer
Umrahmung durch Eselsrücken. Ueber diesem
Knauf erhebt sich ein zweites, minder hohes
Stockwerk mit Bogen, Strebepfeilern und Fialen,
dann wieder Zinnenkrönung und der Ansatz zu
einem Schuppendach. Dann folgt nochmals ein
sechstheiliges Glied und über diesem ein dritter
Kapellenbau, weniger ausladend, aber reicher
in der Anlage und zierlicher in den Formen,
mit Fenstern, Spitzgiebeln, Fialen u. s. w. Dar-
über sieht man wieder den Ansatz eines ge-
schuppten Daches, das aber bald in einen ka-
1891. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.
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organischen Lösung des Problems bezeichnen
möchte, bei denen also das Kreuz mehr natür-
lich aus dem Unterbau sich entwickelt, heraus-
wächst. Dahin rechne ich z. B. ein Reliquien-
kreuz der Kirche zu Konitz (»Westpr. Kunst-
denkmäler« Heft 4, S. 375, Beilage Nr. 4). Der
Fufs ist achttheilig mit vier grofsen und vier
kleinen runden Blättern; der Knauf besteht
aus einem grofsen, mit Email verzierten und
mit Glasflüssen besetzten, halbkugelförmigen
Knopfe; auf demselben er-
hebt sich noch ein kurzer
achttheiliger, mit Kanten-
blumen verzierter Schaft
und auf diesem erst das
Kreuz, allerdings auch an
dem unteren Kreuzarme
kleeblattartig geschlossen.
Nach dem Urtheile des
Herausgebers ist der Fufs
jünger als das Kreuz, dieses
dem XV., jener einer Restau-
ration des XVI.Jahrh. ange-
hörig. Ich kann das nicht
recht glauben; aber es mag
sein, und die Verschieden-
heit der Kantenblumen des
Schaftes und der des Kreuzes
scheint dafür zu sprechen;
aber immerhin ist die Ein-
heit des Stiles unverkennbar
und wie sie auch das Bestre-
ben, wenn auch unter An-
wendung jüngerer Formen,
ein einheitliches Werk her-
zustellen, und das zeigt sich
hauptsächlich in der Anlage
und Verzierung des Schaftes.
Glücklicher noch ist der
Uebergang vom Fufse zum
eigentlichen Kreuz erreicht an einem Altar-
kreuze der Kirche zu Dirschau (a. a. O. Heft 3,
S. 170, Beilage Nr. 2). Der Fufs ist ein unregel-
mäfsiges Sechseck und mit eingravirten Szenen
aus der Leidensgeschichte des Herrn geschmückt,
aufserdem mit zwei Engeln, welche eine Re-
liquienkapsel tragen. Ueber dem Fufse erhebt
sich ein kleiner, offener, mit Strebebogen und
Wimpergen in rundbogigen Formen ausgestat-
teter Kapellenbau, darin eine Pietä. Aus dieser
Kapelle wächst zunächst ein sechseckiger Schaft
heraus, der in einem zweiten Stockwerke sich
verjüngt, und an diesem erst setzt das Kreuz
an, viereckig, aber mit abgeschrägten Kanten,
die wieder mit Rankenwerk besetzt sind. Der
sonst den Uebergang erschwerende Vierpafs ist
weggeblieben.
Sehr natürlich und geschickt ist der frag-
liche Uebergang bewirkt bei einem Reliquien-
kreuz der Kirche zu Rössel in Ermland, dessen
Abbildung wir untenstehend bringen. Die Ge-
sammthöhe des Kreuzes beträgt 92 cm, die des
Fufses 46, die des Kreuzes
46, die Breite der Kreuz-
arme 33, einschliefslich der
Ornamente 36 cm. Der Fufs
ist sechstheilig, aberunregel-
mäfsig, mit glatten Flächen,
während doch sonst Gravi-
rungen nicht leicht zu fehlen
pflegen. Die sechs Flächen
werden nach mäfsiger Erhe-
bung zusammengefafst durch
einen sechsseitigen Kapel-
lenbau mit Strebepfeilern,da-
zwischen Mafswerksfenster,
bei denen silberne Plättchen
die Stelle des Glases ver-
treten. Darüber eine Zinnen-
kr.önung mit Schuppendach;
also auch hier wieder das
Motiv eines Thurmbaues.
Auf dem Dache setzt sich
der Schaft sechsseitig fort
mit zwei flachbogigen Ni-
schen auf jeder Fläche. Da-
rüber erweitert sich der Auf-
bau zu dem Hauptknaufe,
wieder ein Kapellenbau mit
weit ausladenden Strebe-
pfeilern u. Strebebogen, da-
zwischen tiefliegende Fen-
ster mit rundbogigem Abschlufs und äufserer
Umrahmung durch Eselsrücken. Ueber diesem
Knauf erhebt sich ein zweites, minder hohes
Stockwerk mit Bogen, Strebepfeilern und Fialen,
dann wieder Zinnenkrönung und der Ansatz zu
einem Schuppendach. Dann folgt nochmals ein
sechstheiliges Glied und über diesem ein dritter
Kapellenbau, weniger ausladend, aber reicher
in der Anlage und zierlicher in den Formen,
mit Fenstern, Spitzgiebeln, Fialen u. s. w. Dar-
über sieht man wieder den Ansatz eines ge-
schuppten Daches, das aber bald in einen ka-