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Zeitschrift für christliche Kunst — 4.1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.3823#0227

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335

L801. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

33(5

Gothisch oder Romanisch?

(Briefe an einen Freund.)

Vierter Brief,
ieber Freund! Sie theilen mir mit,
dafs für Sie die Frage „Gothisch
oder Romanisch?" nunmehr gelöst
sei. „Wenn der gothische Stil",
schreiben Sie, „sowohl in Bezug auf Billigkeit,
als praktischen und ästhetischen Werth dem ro-
manischen überlegen ist, so ist er ihm vorzu-
ziehen; wenn er ihm aber vorzuziehen ist, so
handle ich nur vernünftig, wenn ich ihn auch in
der That vorziehe, ich werde also gothisch
bauen!" Bravo, ich freue mich über Ihren Ent-
schlufs. — Unterdefs wünschen Sie, dafs ich
einige Punkte aus dem bereits früher erwähnten
Aufsatz von Krings (»Ztschr. f. christl. K.« III.,
Heft 12) einer nähern Besprechung unterziehe,
namentlich weil ein Mitglied Ihres Kirchen-
vorstandes durch denselben einigermafsen für
den romanischen Stil eingenommen worden ist.
— (Nebenbei bemerkt, scheint Ihr Kirchen-
vorstand einer von den wenigen zu sein, welche
der wiederholten dringenden Empfehlung der
»Zeitschrift« durch den Hochw. Herrn Erz-
bischof Beachtung geschenkt haben.) — Wenn's
denn sein mufs: wohlan. Ich folge dabei der
von Ihnen angedeuteten Ordnung.

1. Um von vornherein die Alleinberech-
tigung irgend eines Baustiles abzuweisen, er-
innert der Verfasser daran, dafs in verschiede-
nen Stilen würdige Gotteshäuser erbaut worden
sind, dafs sogar im Barockstil, wie die Jesuiten-
kirchen des XVII. Jahrh. zeigen, Herz u. Gemüth
erhebende und durch Ausnutzung des Raumes
wie durch akustische Wirkung ausgezeichnete
Gebäude hergestellt werden können (Sp. 378).
Dazu möchte ich Folgendes bemerken: Aus
der Thatsache allein, dafs in irgend einer Bau-
weise würdige Gotteshäuser hergestellt worden
sind, folgt noch nicht die Gleichberechtigung
dieser Bauweise mit einer andern. Wollte man
sie daraus folgern — was übrigens auch der
Verfasser nicht thut —, so müfste man die Be-
rechtigung aller Stile zugleich annehmen, denn
„was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig".
Diese wird aber Niemand zugeben, am wenigsten
der Verfasser, der ja selbst ausdrücklich an-
erkennt, dafs für Deutschland — ich spreche
übrigens auch nur von Deutschland —
die mittelalterlichen Stile für katholische Kultus-

bauten den Vorzug verdienen (Sp. 378 unten). —
Um die Berechtigung eines Stiles zu beurtheilen,
mufs man noch vielerlei andere Dinge, die ge-
schichtliche Entwicklung, die örtlichen Verhält-
nisse, die Baustoffe, den Geist des Volkes u. s. w.
in Betracht ziehen. Läfst sich aber aus der That-
sache, dafs irgend ein Stil schöne Gotteshäuser
aufzuweisen hat, noch nicht seine Berechtigung
begründen, so läfst sich auch für den romani-
schen Stil aus einem solchen Umstände nicht
seine Gleichberechtigung mit der Gothik er-
weisen.

Uebrigens ist die Erinnerung an die Jesuiten-
kirchen des XVII. Jahrh. für unsere Frage von
Werth. Diese Kirchen sprechen nämlich gerade
gegen den allgemein üblichen Stil ihrer Zeit
und für die Gothik. Eine wenn auch nur
oberflächliche Betrachtung derselben läfst keinen
Zweifel darüber, dafs ihr Vorzug vor anderen
gleichzeitigen Werken in ihrer gothischen An-
lage beruht. Nehmen wir z. B. die sehr ein-
fache, spät — wenn ich nicht irre 1702 ■— er-
baute Jesuitenkirche in Bonn. Die Form der
Simse, die Belebung der Pfeilerflächen u. dergl.
sind der herrschenden Geschmacksrichtung ent-
nommen, Niemand wird aber darin einen Vor-
zug des Bauwerks finden; die Grundrifs- und
Aufrifsanordnung, das ganze Knochengerüst des
Baues, wenn ich so sagen soll, ist aber so sehr
gothisch, dafs man fast denken sollte, ein
mittelalterliches Bauwerk sei später mit Barock-
formen umkleistert worden. Jeder, der die
Kirche gesehen hat, mufs zugestehen, dafs die
Raumvertheilung sehr glücklich, der Aufrifs
edel, die Wirkung des Innern trotz der grofsen
Schlichtheit grofsartig ist. Stände mir eine
Zeichnung derselben zu Gebote, so würde ich
sie Ihnen mit ein paar Strichen ins Gothische
übertragen, und Sie würden sich wundern, wie
leicht das geht. Aehnliches läfst sich sagen
von der allerdings etwas mehr mit Schnör-
keleien überladenen prächtigen Jesuitenkirche
in Köln, von der in Koblenz u. s. w. Kurz,
die Jesuitenkirchen sind so zweckmäfsig und
ihr Anblick ist im Vergleich mit andern gleich-
zeitigen Bauwerken so wohlthuend, weil sie
noch mehr als andere auf dem Grunde
der gothischen Anschauungen ruhen und
ihrer eigenen Zeit nur den Flitter entlehnt haben.
 
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