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Zeitschrift für christliche Kunst — 4.1891

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345

18'Jl.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. II.

34(5

Kirchenschätze un

lin Gedanke, den Julius Lessing in
einem Vortrage in der volkswirth-

schaftlichen Gesellschaft zu Berlin
über „Unserer Väter Werke" be-
rührt, gab Anlafs zu den folgenden Ausführun-
gen. Die Gründung von Museen in dem heute
gebräuchlichen Sinne geht zurück bis in die
Zeit der Renaissance. Es wäre jedoch irrthüm-
lich, zu glauben, dafs vordem keine Vereini-
gungen von Kunstwerken bestanden hätten,
welche von bewundernden Besuchern besich-
tigt worden wären, und der Kunst oder dem
Kunsthandwerk ihrer Zeit als Muster gedient
hätten. Die grofsartigsten Vereinigungen dieser
Art waren in der antik-griechischen Welt die
Tempel, namentlich die als Nationalheiligthum
gefeierten Tempelbezirke. Auf der Altis von
Olympia, auf jenem, durch die neueren Aus-
grabungen in seiner ganzen Pracht vor unserm
geistigen Auge wiedererstandenen Tempelhügel,
hatten Jahrhunderte die köstlichsten Kunst-
schätze zusammengehäuft. Jahrhunderte hin-
durch war es der höchste Stolz der Griechen,
in diesem Nationalheiligthum durch eine Stif-
tung vertreten zu sein ■— sei es ein Werk der
Bildhauerkunst, sei es ein köstlich geschmück-
tes Opfergefäfs. Die Bildhauer wetteiferten im
edelsten Ehrgeiz, hier, wo die berühmten Werke
der Vergangenheit zum Wettbewerb herausfor-
derten, mit ihren durchdachtesten und vollendet-
sten Arbeiten aufzutreten. Kein Wunder, dafs
in den Berichten der Reisenden, eines Strabo
u. A., die Schilderungen dieser Tempelbezirke
den gröfsten Raum einnehmen: dafs wir gleich-
sam mit diesen gelehrten Touristen Stunden und
Tage lang unter der Leitung kundiger Führer
in den Tempelhainen umherwandern, die be-
rühmten Werke vergangener Tage bewundernd.
Eine analoge Erscheinung zu den Tempel-
bezirken der Griechen bietet uns die Kirche
des Mittelalters. Selbstverständlich wird man
bei diesem Vergleich den Verlust in Ansatz
bringen müssen, welche die Künste in den
dunkeln Jahrhunderten der Völkerwanderung
erlitten hatten. Aber man wird nicht irre gehen
mit der Behauptung, dafs ebenso, wie die
Tempelschätze Alt-Griechenlands das höchste
enthielten, was die Kunst ihrer Zeit leistete,
so in den Schatzkammern der mittelalterlichen
Kirchen Alles, was das Mittelalter höchstes

d ihre Benutzung.

und vollendetstes in Kunst und namentlich
Kunstgewerbe vermochte, vereinigt war. Ja,
der Vergleich möchte — immer relativ ge-
sprochen — zu Gunsten der Kirche ausfallen,
wenn wir uns vergegenwärtigen, dafs alle Kunst-
übung des frühen Mittelalters aus ihrem Schoofse
hervorgegangen ist, und dafs sie Jahrhunderte
hindurch thatsächlich den Mittelpunkt des ge-
sammten Kulturlebens bildete. So war es nicht
nur selbstverständlich, dafs die bei dem Gottes-
dienste bestimmten Geräthe, wie alle Aus-
stattungsstücke der Kirche und der Altäre die
höchsten Leistungen von Kunst und Kunst-
gewerbe bezeichneten; auch von dem, was für
das profane Leben geschaffen worden war, stif-
tete frommer Sinn das beste und edelste zu
kirchlichem Gebrauch. Statt vieler anderer Bei-
spiele sei hier nur auf das Brettspiel hingewiesen
(abgeb. bei Hefner-Alteneck »Trachten« etc.),
welches, in ein Reliquiar umgewandelt, in dem
Firminus-Altar der Stiftskirche zu Aschaffen-
burg aufgefunden wurde, und welches, als ein-
ziges Beispiel seiner Art aus der romanischen
Periode, noch heute im Schatz der genannten
Kirche bewundert wird. Dafs diese fromme
Sitte, sich des köstlichsten Hausrathes zu ent-
äufsern, um dadurch die Fürsprache der Kirche
zu gewinnen, bis in die neuere Zeit hineinreicht,
beweisen u. a. die herrlichen Stücke weiblichen
Geschmeides, mit welchen eine Monstranz in
der Stiftskirche zu Freiburg i. B. noch heute
behängt ist.1) Und wer das »Heilthumbuch«
von Halle durchblättert, wird eine Menge von
Profangeräth — Pokale, Schiffe, „Kleinode",
Schmuckkästchen —• und andere Werke der
Silberschmiedekunst finden, die unzweifelhaft
ihre Entstehung als Hausgeräth vornehmer Do-
natoren an der Stirn tragen, und erst bei ihrem

') [Vor Kurzem entdeckte ich in einem der langen
und niedrigen Glaskasten, welche die Chorgilter des
Domes von Xanten bekrönen, die mit Reliquien be-
setzten und gefüllten Bestandteile einer mit ungemein
interessanten, vorzüglich erhaltenen Profanfiguren in
Reliefmanier bestickten nordfranzösischen aumöniere aus
dem XIV. Jahrb., welche auffallenderweise der Beach-
tung von Seiten der zahllosen Archäologen entgangen
war, für die der Besuch des herrlichen Bauwerks und
seiner so mannigfaltigen wie kostbaren Ausstattungs-
gegenstände schon Jahrzehnte hindurch einer der
höchsten Kunstgenüsse ist. Abbildung wie Beschrei-
bung dieses seltenen Kostümstückes soll demnächst
hier geboten werden. D. H.]
 
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