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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 4.1906-1908

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2. Heft
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Kekulé von Stradonitz, Stephan: Das Turnier zu Brüssel im Sommer 1905
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https://doi.org/10.11588/diglit.38677#0048

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34

Zeitschrift für historische Wafienkunde.

IV. Band.

Gelingen des Ganzen: das fördernde Interesse
der Staatsregierung; ein Organisator von seltener
Geschicklichkeit und Umsicht in der Person des
Oberstleutnants de Witte; der quellenkundige
und zugleich feinfühlige und kunstverständige
Archivar in der Person von Joseph Cuvelier-
Brügg'e, einem der genauesten Kenner der bur-
gundischen Epoche; ein unvergleichlicher Zeich-
ner der Figurinen, Charles Michel; endlich für
die unentbehrliche musikalische Begleitung ein
hingebungsvoller Orchestrator der überlieferten
französischen und vlämischen Melodien und Ge-
sänge in der Person des Kapellmeisters Leon
Walpot.
So ist eine Darbietung zustande gekommen,
.welche hinsichtlich der geschichtlichen Treue in
bezug auf die Tracht, die Ausrüstung der Pferde,
die Schutz- und Trutzwaffen, die Wappen, die
Musik und die musikalischen Instrumente, inner-
halb der Grenzen des Möglichen auch in bezug"
auf die Gestaltung des Turnierplatzes und die
Handlung, in der Geg'enwart sicher nicht oft ihres-
gleichen gehabt bat; weder bei höfischen Kostüm-
festen, noch bei Künstlerveranstaltungen, noch
endlich auf den Bühnen, selbst den allergröfsten.
Ich habe der dritten Aufführung" in Brüssel
beiwohnen können. Vier solche haben im ganzen
stattgefunden.
Bei dem grofsen Interesse, welches diese
Turnieraufführung sowohl in Hinsicht auf die
Waffenkunde, als in Hinsicht auf die ihr so nahe
verwandte Wappenkunde beanspruchen darf, er-
laube ich mir, darüber im Nachstehenden einiges
zu berichten.
Dabei wird es sich aber darum handeln, zwei
Frag'en zu beantworten. Zuerst diejenige, was
dargeboten wurde, sodann die, wie es dar geboten
würde.
Am io. November 1451 erreichte Karl der
Kühne, vor seiner Thronbesteigung" „Graf von
Charolais“ genannt, Sohn Philipps des Guten
oder des Gütigen von Burgund und der Isabella
von Portugal, da er am 10. November 1433 ge-
boren war, das vollendete 18. Lebensjahr. Um
diesen Tag zu feiern, liefs Philipp am 10. Novem-
ber 1451 ein Lanzenstechen ausrufen, welches am
20. Februar 1452 auf dem Rathausplatze zuBrüssel,
dem noch heute schönsten der altertümlichen
Plätze in Nordeuropa, stattfand.
Die' Blüte der Ritterschaft der Zeit wurde
hierzu eingeladen. Der junge Erbe der burgundi-
schen Krone zeig-te sich bei dieser Gelegenheit
als ein Meister im ritterlichen Kampfspiel. Er
rannte im ganzen achtzehnmal und brach 16 Lanzen.
Über dieses Lanzenstechen sind genaue zeit-
genössische Berichte vorhanden. Es mit der gröfst-

mögdichsten Treue nachzubilden, hatten sich
die Veranstalter zur Aufgabe gesetzt. Insbe-
sondere entsprachen die fünf Gegner des jungen
Grafen von Charolais, nämlich Adolf von Cleve,
Herr zu Ravestein; Wolfart von Borssele, Graf
zu Buchan, Herr zu Vere; Jean de la Tremoille;
Charles de Ternant; Jacques de Lalaing", Herr
zu Bug-nicourt genau den Überlieferungen. Gegen
Wolfart von Borssele rannte Karl zusammen sechs-
mal, gegen die anderen je dreimal.
Dieser Tiost mit allem, was dazu gehörte,
d. h. dem Einzuge Philipps des Gütigen mit seinem
Hofstaate, seinen Damen und deren Hofstaate;
dem Erscheinen des „marechal de la lice“ (lice -
Stechbahn), Theobald von Neufchätel, Herrn zu
Blamont; dem Einzuge des Wappenkönigs vom
goldenen Vliefs, Jean Lefevre de Saint-Remy,
des Verfertigers des oben erwähnten Armorial
de la Toison d’or ■— hiernach als einer der
ersten heraldischen Künstler aller Zeiten zu
preisen — mit den Persevanten und Herolden;
dem Einzug'e der vier Schiedsrichter: Johanns
von Saint-Pol, Bastards von Luxemburg; Michels
von Ligne; Johanns von der Marek, Herrn zu
Arenberg; Gerhards von Looz, Grafen zu Blanken-
heim; dem Einzug-e des Grafen von Charolais und
seiner fünf Gegner, alle mit grofsen Gefolgen;
endlich den Musikchören und Spielleuten (mene-
strels) des Herzogs Philipp und des Grafen von
Charolais bildete den ersten Teil der Festauf-
führung.
Der zweite Teil der Festaufführung, wel-
chen die Veranstalter „pas d’armes“ (Waffengang)
benannt hatten, und der in sechs Unterabteilungen
zerfiel, von denen nachher noch zu sprechen sein
wird, sowie der dritte Teil, nämlich eine soge-
nannte „quintaine“ (Stechen nach dem Stroh-
manne); weiter der vierte Teil, nämlich das eigent-
liche ,,tournoi“: der Massenkampf, Buhurt; end-
lich der fünfte Teil: die Preisverteilung waren dem
Programme hinzugefügt worden, „um dem Zu-
schauer eine Vorstellung zu geben von einem ritter-
lichen Feste der Zeit“, wie dieses in der Einleitung
der zu der Veranstaltung herausgegebenen Ein-
führung1) ausdrücklich hervorg'ehoben war.
Die Handlung selbst innerhalb dieser vier
letztgenannten Abteilungen war eine freie Er-
findung der leitenden Männer, immerhin aber
lediglich aus solchen Personen zusammengestellt,
welche wirklich in der Umgebung des Herzogs
Philipps des Gütigen oder in seinen Staaten ge-
lebt haben. Dabei waren aber, entsprechend dem
3) Scenario du Tournoi de Chevalerie representd dans
le grand Hall du Cinquantenaire. Bruxelles Juillet-Aout
1905. De. l’Etablis. graphique L. Vandamme & Co. Jette-
Bruxelles s. a. (1905).
 
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