Studien über den langen Spieß
Von Hans Müller-Hickler
A ls der Weifskunig zum ersten Male in
/% seinen österreichischen Erblanden um-
jj \ schlagen liefs, da Ritter und Fürsten
ihm Heeresfolge und Lehn streue versagten,
mag wohl ein seltsam Völklein zusammengeströmt
sein. Jedweder soll Gewand und Waffen mit-
bringen, so hiefs es. Wohl war da bei manch
einem wegen des Gewaffens guter Rat teuer und
seltsam geformt Rüstzeug blinkte in jenes Morgens
Sonne, da der Haufen zum ersten Mal gemustert
ward; hätte ein spiefsgerechter Eidgenofs, ein
Veteran von Murten jenem Schauspiel beigewohnt,
er hätte sich eines mitleidigen Lachens wohl nicht
erwehren können.
Von ihres Vaters Speicher brachten die
Meisten da wohl ehrwürdige Knebel und Feder-
spiefse mit, die Jeder im Aufgebot zu tragen
hatte, Rofsschinder und Gläven erschienen, viel-
leicht auch die Sense und die biedere Heugabel.
Wer weifs, ob nicht der und jener im Tatendrang
auch den verbotenen gemeinen Spiefs mitzu-
bringen versuchte — ein an die Stange gebundenes
Messer.
Dafs mit so gewaffnetem Volk gegen die
wohlgerüsteten Zünfte, die Geharnischten auf ge-
deckten Rossen oder vorzüglich geschulten Reis-
läufer Nichts auszurichten war, sah Maximilian
sofort ein. Wie er, der so oft als Phantast
verschrieene, in Vielem klug und einsichtig war,
wie er, der letzte Ritter, gewifs mit wehem
Herzen zusah und begriff, dafs nunmehr Fufsvolk
seine Schlachten schlagen müsse, so ergriff er
ohne Wanken das Gute, das ihm diejenigen boten,
die ihm nicht genehm sein konnten nach der
Geschichte Verlauf.
Den langen Spiefs der Schweizer (es mufs in
jedem Vergleiche mit den Schweizern zwischen den
Reisläufern, die ich stets meine, und dem Landes-
aufgebot, das nicht regelmäfsig bewaffnet war,
unterschieden werden) führte er bei seinen Lands-
knechten ein und mit ihm Ordnung und Gang
des Gefechtes. So kam diese Waffe in die Hand
der Deutschen. Sie haben von ihren Meistern
gelernt, sie führten den Spiefs gewandt und mutig
und trugen an seiner Spitze den Ruhm deutscher
Tapferkeit ein Jahrhundert lang durch das bren-
nende Europa.
In jener Schlacht, die das hohe Lied deutscher
Landsknechttapferkeit ist, auf Pavias Rasen
legten sie ihre Prüfung ab im Kampfe gegen
ihre Meister. Der lang-e Spiefs ist keine
schweizerische Erfindung. Er entstammt den
Ebenen Italiens. Dort hatten ihn schweizer
Reisläufer im Dienste der Welschen getragen.
In einer Zeit, in der in der Schweiz noch die
Helmbarte die allgemein übliche Kriegswaffe
war, tritt uns in Italien der Spiefs entgegen und
um 1327 war es den Bürgern Turins befohlen,
Spiefse von 18' zu führen.
Herr Dr. Hermann Escher, der vorzügliche
Beschreiber schweizerischen Kriegsvolks, teilt uns
dies mit und aufserdem, dafs erst um 1425 die
Luzerner mit 38 °/0 Spiefsen auszogen und .dafs
damals zuerst davon geredet wurde, dafs
„stechen und schlagen“ die Tätigkeit der
Mannschaft im Gefechte bildete. Dies im Gegen-
satz zu einer Beschreibung der Schlacht am Moor-
garten, worin es hiefs, dafs die Eidgenossen mit
ihrer schrecklichen Waffe, der Helmbarte, den
Gegner „entzweihieben“. Es ist somit ausge-
schlossen, dafs Spiefse vorher im Gebrauch waren.
Erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts kamen
Schweizer mit dieser Waffe nach Nürnberg.
Völlig jedoch wurde der Spiefs die Waffe
der Eidgenossen nach jenen Schlachten bei
Murten, Hericourt, bei St. Jacob a. d. Birs und
Nancy, in denen sie den Sieg über die best
gerüsteten und tapfersten der damals bestehenden
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Von Hans Müller-Hickler
A ls der Weifskunig zum ersten Male in
/% seinen österreichischen Erblanden um-
jj \ schlagen liefs, da Ritter und Fürsten
ihm Heeresfolge und Lehn streue versagten,
mag wohl ein seltsam Völklein zusammengeströmt
sein. Jedweder soll Gewand und Waffen mit-
bringen, so hiefs es. Wohl war da bei manch
einem wegen des Gewaffens guter Rat teuer und
seltsam geformt Rüstzeug blinkte in jenes Morgens
Sonne, da der Haufen zum ersten Mal gemustert
ward; hätte ein spiefsgerechter Eidgenofs, ein
Veteran von Murten jenem Schauspiel beigewohnt,
er hätte sich eines mitleidigen Lachens wohl nicht
erwehren können.
Von ihres Vaters Speicher brachten die
Meisten da wohl ehrwürdige Knebel und Feder-
spiefse mit, die Jeder im Aufgebot zu tragen
hatte, Rofsschinder und Gläven erschienen, viel-
leicht auch die Sense und die biedere Heugabel.
Wer weifs, ob nicht der und jener im Tatendrang
auch den verbotenen gemeinen Spiefs mitzu-
bringen versuchte — ein an die Stange gebundenes
Messer.
Dafs mit so gewaffnetem Volk gegen die
wohlgerüsteten Zünfte, die Geharnischten auf ge-
deckten Rossen oder vorzüglich geschulten Reis-
läufer Nichts auszurichten war, sah Maximilian
sofort ein. Wie er, der so oft als Phantast
verschrieene, in Vielem klug und einsichtig war,
wie er, der letzte Ritter, gewifs mit wehem
Herzen zusah und begriff, dafs nunmehr Fufsvolk
seine Schlachten schlagen müsse, so ergriff er
ohne Wanken das Gute, das ihm diejenigen boten,
die ihm nicht genehm sein konnten nach der
Geschichte Verlauf.
Den langen Spiefs der Schweizer (es mufs in
jedem Vergleiche mit den Schweizern zwischen den
Reisläufern, die ich stets meine, und dem Landes-
aufgebot, das nicht regelmäfsig bewaffnet war,
unterschieden werden) führte er bei seinen Lands-
knechten ein und mit ihm Ordnung und Gang
des Gefechtes. So kam diese Waffe in die Hand
der Deutschen. Sie haben von ihren Meistern
gelernt, sie führten den Spiefs gewandt und mutig
und trugen an seiner Spitze den Ruhm deutscher
Tapferkeit ein Jahrhundert lang durch das bren-
nende Europa.
In jener Schlacht, die das hohe Lied deutscher
Landsknechttapferkeit ist, auf Pavias Rasen
legten sie ihre Prüfung ab im Kampfe gegen
ihre Meister. Der lang-e Spiefs ist keine
schweizerische Erfindung. Er entstammt den
Ebenen Italiens. Dort hatten ihn schweizer
Reisläufer im Dienste der Welschen getragen.
In einer Zeit, in der in der Schweiz noch die
Helmbarte die allgemein übliche Kriegswaffe
war, tritt uns in Italien der Spiefs entgegen und
um 1327 war es den Bürgern Turins befohlen,
Spiefse von 18' zu führen.
Herr Dr. Hermann Escher, der vorzügliche
Beschreiber schweizerischen Kriegsvolks, teilt uns
dies mit und aufserdem, dafs erst um 1425 die
Luzerner mit 38 °/0 Spiefsen auszogen und .dafs
damals zuerst davon geredet wurde, dafs
„stechen und schlagen“ die Tätigkeit der
Mannschaft im Gefechte bildete. Dies im Gegen-
satz zu einer Beschreibung der Schlacht am Moor-
garten, worin es hiefs, dafs die Eidgenossen mit
ihrer schrecklichen Waffe, der Helmbarte, den
Gegner „entzweihieben“. Es ist somit ausge-
schlossen, dafs Spiefse vorher im Gebrauch waren.
Erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts kamen
Schweizer mit dieser Waffe nach Nürnberg.
Völlig jedoch wurde der Spiefs die Waffe
der Eidgenossen nach jenen Schlachten bei
Murten, Hericourt, bei St. Jacob a. d. Birs und
Nancy, in denen sie den Sieg über die best
gerüsteten und tapfersten der damals bestehenden
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