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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 4.1906-1908

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2. Heft
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Forrer, Robert: Die ältesten gotischen ein- und mehrläufigen Faustrohrstreitkolben
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https://doi.org/10.11588/diglit.38677#0070

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56

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

IV. Band.

ergaben nun nur 1,300 kg, also ein von meinem
Exemplar nur um kaum 80 g differierendes
Nettogewicht. Dieser Überschuhs ist hervor-
gerufen durch den etwas längeren Eisen-
schaft des Münchener Rohres, das zwischen der
Tülle und den vier Läufen noch eine einfache Ver-
ästelung' zeig't, während bei meinem Exemplar
die Rohre direkt in den Tüllenschaft übergehen.
Vergleichen wir die genannten Gewichte mit
dem der durchaus analogen dreiläufigen Büchse
im Germanischen Nationalmuseum zu Nürn-
berg' (Sixl a. a. O. Abb. 4 Taf. V), sie hat 3,770 kg,
so ergibt sich daraus klar, dafs diese Nürnberger
Büchse eine Waffe ist, welche nicht freihändig
mit einer Hand abgeschossen wurde, sondern als
Gewehr gehandhabt wurde, während das Mün-
chener und mein Vierläufer mit ihren fast um
zwei Drittel geringeren Gewichten sich als regel-
rechte Faustrohre, also Handpistolen doku-
mentieren.
Diese Eisenrohre waren ersichtlich nach Art
der gotischen Stangenbüchsen mit einem Holz-
schaft versehen, welcher in die Tülle eingesetzt
und hinten wohl mit einem Lederriemen zum
Anhängen der Waffe an den Sattel versehen war.
Durch die Einsetzung eines ca, 35 cm langen Hart-
holzschaftes erhöhte sich das Totalgewicht der
Waffe auf ca. 1,250 kg' (Totallänge 60 cm), das
Gewicht einer schweren Pistole.
So übereinstimmend im allgemeinen die beiden
Vierläufer sind, so scheinen mir beide doch er-
sichtlich aus verschiedenen Fabriken her-
vorgeg'angen. Mein Rohr ist gröber gearbeitet;
überall sieht man daran noch die Hiebe des Eisen-
schmiedes. Das Münchener ist glatter und rund-
licher. Es macht einen etwas späterzeitlichen
Eindruck. Dieser wird noch dadurch verstärkt,
dafs bei meinem Exemplar der hintere Reif vor
den Zündlöchern liegt, während er beim Mün-
chener Vierläufer hinter den Zündlöchern
liegt und damit geeignet war, das dort
auf geschüttete Pulver am Platze festzu-
halten. In diesem Sinne erscheint das Münchener
Exemplar schon als eine Verbesserung' des
meinen und wäre es chronologisch also nach
dem meinen zu setzen.
Der Fortschritt, welcher in der Plazierung'
des hinteren Eisenreifens hinter, statt vor dem
Zündloch liegt, ist tatsächlich ein viel gröfserer,
als es im ersten Augenblick den Anschein hat.
Der Reifen versah hier den Dienst der Zünd-
pfanne. Dieser Fortschritt wird aber erst in
seinem ganzen Umfange klar, wenn man sieht,
dafs bei meinem Exemplar ein gesichertes
Aufschütten von Zündpulver überhaupt
unmöglich war! Die nur 2 mm weiten (nach

unten noch verschmälerten) Zündlöcher konnten
ihr Aufschüttpulver nicht gleichzeitig erhalten,
da sie nicht wie bei dem oben erwähnten Nürn-
berger Dreiläufergewehr und bei den mehrläufigen
Kanonen des 16. Jahrhunderts alle in einer Rich-
tung lagen. Sämtliche vier Zündlöcher liegen
sich im Winkel bezw. als Antipoden gegenüber
und konnten daher nur einzeln unmittelbar vor
jedem Schüsse aufgefüllt werden. Aber auch
das Einzelauffüllen war bei der Kleinheit der
Zündlöcher und vor allem bei dem Fehlen einer
Fläche, welche das Pulver aufnahm, fast unmög-
lich. Alle gotischen Gewehre, also auch die-
jenigen ohne Zündpfanne, bieten durch ihre Gröfse
dem Aufschüttpulver wenigstens eine kleine Fläche.
Die vier Rohre meiner Vierläuferpistole sind aber
an und für sich schon kleiner als die jedes anderen
gotischen Feuerrohres, und zudem verjüngen sie sich
sofort hinter dem Zündloch so stark, dafs das Auf-
schüttpulver unfehlbar sofort beim Aufschütten
links, rechts und hinten herabgleiten mufste. In
der richtigen Erkenntnis dieses Mangels sind bei
einer in Holz gebetteten vierläufigen Büchse des
Münchener Museums (Sixl a. a. O. Abb. 6A Taf. 5)
die Zündlöcher mit kleinen Schiebedeckeln ge-
schlossen, welche das Zündpulver bis zu dem
Momente der Entzündung auf den Zündlöchern
festhielten. — Für mein Vierläuferfaustrohr wäre
eine Entzündung mittels Aufschüttpulvers also
fast unmöglich, reine Zufallssache gewesen.
Ich bin deswegen zu der Überzeugung- gelangt,
dafs die Entzündung hier nicht durch Auf-
schüttpulver, sondern durch Luntenzünd-
schnüre vermittelt wurde, welche man
gleich schon während dem Laden der
Rohre in die Zündlöcher einführte.
Diese Erklärung erscheint auf den ersten Blick
vielleicht ketzerisch, aber sie ist für meinen goti-
schen Vierläufer die einzig mögliche. Die Ent-
zündung- mittels Zündschnur war übrig'ens ja be-
kannt. Ich erinnere nur an die Zeichnung' Abb. 2
S. 138 und 13g dieser Zeitschrift I. Band (Codex
3069 von 1401 der Wiener Hofbibliothek), welche
uns einen Mann zeigt, der soeben die Lunte einer
Klotz-Büchse mit seinem Luntenstabe entzündet.
Bis die Zündschnur die Ladung erreicht hatte,
verstrich naturgemäfs ein etwas längerer Zeitraum,
als bei Anwendung von Aufschüttpulver. Und
jener Zeitraum dauerte naturgemäfs je länger, je
länger die zur Anwendung gelangte Zündschnur
war. So erfolgte, während beim Aufschütt-
pulver die Entzündung dieses und der Ladung
sofort, d. h. fast in einem Tempo vor sich ging,
bei der Anwendung der Zündschnur die Ent-
zündung der Ladung in zwei scharf getrennten
T empos.
 
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