Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 4.1906-1908

DOI Heft:
2. Heft
DOI Artikel:
Forrer, Robert: Die ältesten gotischen ein- und mehrläufigen Faustrohrstreitkolben
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.38677#0072

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
58

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

IV. Band.

Ob Pistole oder Gewehr, beide bedurften gleich
langer Zeit zur Ladung und wenn das Gewehr
an und für sich vielleicht einen sichereren Schufs
und aus gröfserer Entfernung- gestattete, so ge-
währte unser Vierläufer andererseits den Vorteil,
dafs, wenn der erste Schufs nicht traf, diese Mög-
lichkeit für die anderen drei Schüsse noch vor-
handen war. Es mufs aber betont werden, dafs
diese Pistolen überhaupt nicht für das Feuer-
gefecht, d. h. für den Kampf gegen Gegner mit
langen Büchsen berechnet waren, sondern gerade-
so wie unsere Revolver von heute, ausschliefslich
nur für den Nahkampf. Und hier war diese
Waffe g-ar nicht zu unterschätzen. War der
Gegner ein Fufsknecht, so trug- er im besten
Fall eine lange Stangenwaffe, war er ein Reiter,
so trug dieser Schwert und Streitkolben. In
keinem Falle wurde der Gegner also gefährlich,
bevor er nicht näher als zwei Meter an den Be-
sitzer unseres Vierläufers herangekommen war.
Dieser dagegen konnte sich seiner Waffe schon
einige Momente zuvor, d. h. bereits auf ein bis zwei
Pferdelängen Distanz früher bedienen, und wenn
er die vier Schüsse hintereinander abgab, so war
immerhin die Wahrscheinlichkeit gegeben, dafs
wenigstens einer von diesen sein Ziel erreichte.
War das nicht der Fall, oder hatte inzwischen
nicht schon die vierfache Feuer- und Schall-
wirkung den Gegner zur Flucht getrieben, so
tat der Vierläufer immer noch seinen Zweck als.
Streitkolben.
Hier ist es wiederum das erwähnte Kampf-
bild Abb. 3, welches uns unterstützt. Das dort
dargestellte, nach Essen wein so „eigentümliche“
Faustrohr ist nichts anderes als ein Streit-
kolben mit eingelegtem Feuerrohr. Es ist
ein Eisenstab, der sich oben acht- oder zehnflächig
verbreitert, ganz nach Art der gotischen Streit-
kolben zu einem Kolbenkopf auswächst. Erst
mit dieser Deutung wird diese Waffe in der
Hand jenes Reiters voll und ganz verständlich:
es fehlt jenem Reiter jede andere Waffe, er er-
scheint ganz nur auf diese angewiesen; wäre sie
Schiefsrohr allein, so dürfte er sich seinem Gegmer
nicht so nähern, wie es das Bild uns zeigt; wohl
aber durfte er das, wenn es ein Schiefs-Streit-
kolben war, der sofort nach dem Schufs in
anderer Form seine Tätigkeit ausüben konnte.
So erklärt es sich auch, weshalb dieser Reiter
seinem Gegner so nahe auf den Leib zu rücken
wagt und weshalb er den „Schiefsprügel“ in der
rechten Hand führt, während die anderen Reiter-
Schützen wie hier Abb. 5 (dazu vgl. Abb. 43
S. 27g I. Bd. und Abb. 42 S. 278 I. Bd.) das Rohr
mit der Linken halten und mit der Rechten die
Lunte zum Rohr bringen. Diese sind denn auch

aufser ihrem Schiefsrohr beide mit Schwertern aus-
gestattet und lassen das an einer Schnur am Halse
hängende Petrinal nach dem Schüsse einfach los,
um dann sofort mit der Rechten zum Schwerte
zu greifen. Dies Petrinal war dem Faustrohr
gegenüber insofern im Vorteil, als es eine stärkere
Ladung und gröfsere Kugel gestattete. Umge-
kehrt hatte das Faustrohr den Vorteil, dafs der
Reiter damit nach allen Seiten schiefsen konnte,
während ihm mit dem Petrinal, dessen Gabelunter-
lage wegen, nur in der Halsrichtung seines Pferdes
zu treffen möglich war, die Bewegungsfähigkeit
also eine geringere war, da er mit der Ortsände-
rung- des Gegners auch das Pferd vor dem Schüsse
erst entsprechend wenden mufste.
Wir gelangen damit also zu zwei in der Hand-
habung wesentlich verschiedenartigen Klassen
von kurzen Handrohren: Die eine dient ausschliefs-
lich als Schufswaffe, hängt dem Reiter um den
Hals, wird linkshändig g-ehalten und ruht auf
einer Gabel, wo sie durch Widerhaken festg-ehalten
wird, sie wird mit der Rechten entzündet und
tritt nach dem Schufs aufser Gebrauch. — Die
andere Gattung- ist leichter, wird frei in der
rechten Hand geführt, mit der Linken entzündet
und dient nach dem Schufs weiter als Hiebwaffe,
als Streitkolben. — Auch die Vierläufer Abb. 1
und 2 sind ersichtlich Waffen der letztem Art, regel-
rechte „Schiefsstreitkolben“ oder „Streit-
kolben-Faustrohre“. Es ist zu vermuten, dafs
auch der Schiefsstreitkolben des Reiters Abb. 3
ebenfalls drei- oder vierläufig gedacht war, andrer-
seits die Vierläufer Abb. 1 und 2 ähnlich der Waffe
Abb. 3 geschäftet waren.
So ergänzen sich Bilder und Originale gegen-
seitig und es bleibt nach dem Gesagten kein
Zweifel übrig, dafs wir in diesen Vierläufer-Streit-
kolben Abb. 1 und 2 durchaus nicht blofse „Ver-
suche“, sondern reg-elrechte Faustrohrwaffen
vor uns haben und dafs sie nicht dem 16., son-
dern dem 15. Jahrhundert angehören.
Für eine Datierung- in das 15. Jahrhundert
spricht eine Menge von Gründen. Vor allem die
primitive Schmiedearbeit, die weit eher derjenigen
der Schiefsrohre des 14. und 15. Jahrhunderts,
als derjenigen der Rohre des 16. Jahrhunderts
entspricht. Ebenso die gerade für die Schiefs-
rohre des 15. Jahrhunderts charakteristische Um-
klammerung der Rohre mit Eisenringen und die
bündelartige Anordnung der Rohre, welche an
Feuerwaffen des 14. und 15. Jahrhunderts auf-
fallend häufig ist, dagegen im 16. Jahrhundert
die Rohre öfter nebeneinander statt bündel-
förmig" gebettet erscheinen. Für das 14. bis
15. Jahrhundert spricht ferner durchaus die
konische, nach hinten sich wesentlich verengende
 
Annotationen