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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]; Verein für Historische Waffenkunde [Mitarb.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 4.1906-1908

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5. Heft
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Vereins-Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.38677#0171

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VEREINSNOTIZEN

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und zum Büchsenmacher zu gehen, um dort von Anfang
an alles zu erlernen, was die Zunft fordert. In Schnee-
berg hat er als Bezirkskommandeur dann Zeit genug
gefunden, um sich selbst eine Werkstatt zu errichten
und sich an den Werktisch zu stellen. Was er dort in
harter Arbeit geschaffen hat, ist jetzt in seiner Sammlung,
die das Arsenal in Dresden aufgenommen hat, jedermann
zugänglich. Als einen Führer zu dieser Sammlung dachte
er sich sein Buch, das sich unter der Hand zu einer grund-
legenden Geschichte der Handfeuerwaffen fast wie von
selbst entwickelte. Aber nicht dieses, nicht die literarische
Fixierung war ihm die Hauptsache, sondern die Sammlung
selbst, und wenn er sich je über sein Gebiet zu äufsern
hatte, fühlte er sich durchaus an sie gebunden. Er war
kein Mann der Reflexionen, keiner, der Daten und Beobach-
tungen zu einem System aufbaute, sondern er war und
blieb immer der Schilderer von Erlebtem. Sein Buch wie
seine Sammlung sind aber Er-
lebnisse, ja vielleicht die einzig
grofsen, die er je gehabt hat.
Es ist in dieser Zeitschrift
nicht der Ort, seine wissenschaft-
lichen Verdienste noch weiter zu
würdigen, als es diese vorstehen-
den Zeilen versuchen, denn wer,
der sich mit diesem besonderen
Zweig unserer Disziplin befafst,
hätte nicht längst ihn zum Führer
genommen und kennte ihn nicht
genau? Mir ist es mehr Bedürfnis,
über den Menschen Thierbach als
über den Wafienhistoriker noch
etwas zu sagen.
Es war nicht seine Art, aus
sich herauszugehen, und er, der
manchmal rauh und scharf in
seinen Lebensäufserungen war, war
doch von zu zarter Scheu erfüllt,
um ohne weiteres jemanden in das
Innere seiner Seele blicken zu
lassen. Wer es aber gekonnt hat,
der weifs, dafs dem einsamen Men-
schen ein goldenes Herz eigen war.
Das haben die wenigen Freunde,
die er im Leben an sich heran-
zog, kennen gelernt. An ihnen hing er mit einer zähen
Treue, die durch nichts zu erschüttern war und die durch
ein merkwürdiges Verständnis für die Eigenart anderer eine
gewisse Verklärung fand. Sein Freund zu werden, war
nicht leicht. Ich habe es an mir selbst erfahren, und es
hat Jahre gebraucht, bis ich ihm nur um einen Schritt näher
gekommen war, dann aber durfte ich mir auch des Glückes
bewufst sein, dafs ich in allem, was ich unternahm, auf sein
Verständnis und seine Unterstützung rechnen konnte. Als
ich das Dresdner waffengeschichtliche Seminar begründete,
ergriff er den Plan sofort mit einer gewissen Leidenschaft-
lichkeit, und als ich bei seinem hohen Alter ihm nahelegte,
dafs wir schon mit seiner Gegenwart bei den Sitzungen
zufrieden sein würden und nicht auf seine Mitarbeit rech-
neten, lächelte er zustimmend und bemerkte, dafs er auch
gar nicht mehr in der Lage sei, mit uns Jüngeren, deren
Schaffen auf ganz andere Grundlagen gestellt sei, wie das
seinige, zusammenzugehen. Aber wenige Wochen darauf
meldete er seinen ersten Vortrag und im gleichen Semester
noch einen zweiten an. So ist es dann geblieben, und kurz
bevor ihn das Krankenlager aufnahm, beschäftigte ihn noch
ein besonderes Kapitel aus der Geschichte der Hinterlader

so lebhaft, dafs er den bevorstehenden Winter ihm ganz
zu widmen gedachte. Vielleicht war es also eine seiner
glücklichsten Eigenschaften, dafs er bis in sein hohes Alter
hinein jung geblieben ist. Seine geistigen Fähigkeiten liefsen
nicht nach, er erfreute sich noch des staunenswerten Ge-
dächtnisses, das ihn durch die Jahre seines besten Schaffens
begleitet hat, und die Freude andern mitzuteilen, was er
erforschte, hat bis an sein Ende nicht nachgelassen. Die
letzten Zeilen, die ich von ihm erhielt, waren Worte des
Bedauerns, dafs er zeitweise die Seminarsitzungen ver-
säumen müsse, und sicher hat er nicht geglaubt, dafs'er
nie zu ihnen, die ihm eine liebe Gewohnheit geworden
waren, wieder zurückkehren würde. Die Besucher der Ver-
sammlung unseres Vereins haben im letzten Sommer seiner
Frische sich wieder freuen dürfen. Und er war in der
Phantasie nicht nur bei der nächsten Versammlung in
Schwarzburg, sondern plante bereits darüber hinaus allerlei
für die weiteren, für die er immer
wieder eine neue Ortsliste auf-
stellte.
Thierbach war eine in sich
abgeschlossene Natur, seine Ein-
seitigkeit war sein Vorzug, er
wollte von nichts anderem wissen,
als was sein Forschungsgebiet be-
traf, und in sein behaglich einge-
richtetes Leben liefs er keine Stö-
rungen eindringen, die den Frieden
seiner Arbeit hätten beeinträch-
tigen können. Naturen, die eine
derartige Abgrenzung und Ab-
schliefsung zuwege bringen, ist
man allzu rasch geneigt als Egoisten
zu bezeichnen, und in gewissem
Sinne sind sie es auch. Aber wer
gesehen hat, wie es dem seltenen
Manne neben dieser Sorge, von
seiner Arbeit alle Störungen, von
seinem Leben alles das Gemüt Be-
unruhigende fern zu halten, ein
Herzensbedürfnis war, junge streb-
same Leute zu fördern, der wird
dieses hart klingende Beiwort auf
ihn nicht anzuwenden wagen. In
Schneeberg, wo er seine beste
Zeit verlebte, fing er an, mit den ihm zur Verfügung
stehenden, keineswegs tibermäfsig grofsen Mitteln Schüler,
die sich durch Kunstverständnis oder Handfertigkeit aus-
zeichneten, auf seine Kosten aus bilden zu lassen, und als
die eigenen Mittel nicht mehr zureichten, geschah dies mit
Hilfe eines Vereins, der jetzt seinen Namen trägt. Hatten
sich seine Schutzbefohlenen gut gehalten, so begleitete er
sie auf ihrem weiteren Lebensweg mit Rat und Tat, und
mancher, der jetzt eine gesicherte Lebensstellung einnimmt,
dankt sie dem stillen Mann, von dessen wohltätigem Wirken
kaum seiner nächsten Umgebung etwas bekannt war. So
hinterläfst der Einsame doch viele Dankbare, und gern
werden auch wir, die wir seine glückliche Einwirkung bei
der Arbeit in unserem Fach erfahren und den Vorzug seiner
Freundschaft genossen haben, uns in ihre Mitte stellen.
Es erübrigt mir noch kurz die äufseren Daten nach-
zuholen. Thierbach ist am 3. Juni 1825 zu Leipzig geboren;
sein Vater war Oberappellationsrat. 1841 kam er als Kadett
auf die Militärbildungsanstalt zu Dresden, vier Jahre darauf
wurde er Portepee-Junker, 1846 Leutnant; als Oberleutnant
lernte er 1849 in dem Dresdner Strafsenkampf zum ersten-
mal den blutigen Ernst seines Berufes kennen und als


Moritz Thierbach.
 
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