8. HEFT
241
G. LIEBE, WAFFENBESCHWORUNG
Reliquien der Heiligen wurde die Schutzkraft
übertragen. Die Setzschilde2), die sich in Erfurt
aus dem 14. Jahrhundert erhalten haben, weisen
zum Teil auf der Innenseite im rechten Ober-
eck die Umrifszeichnung des hl. Christoph auf,
denn wer dessen Bild erschaut, so ging der
Glaube, würde an dem Tage keines jähen Todes
sterben. Bildnisse der Heiligen, wohl meist auf
Medaillen und Münzen, genossen als Amuletts
grofsen Rufes und auch hier macht der Marien-
kultus seinen Einflufs geltend. Bischof Gerhard
von Hildesheim trug, als er 1367 bei Dinklar die
Übermacht der Magdeburger, Halberstädter und
Anhaltiner schlug, ein Marienbild am Halse3).
Die den Reliquien der Heiligen erwiesene Ver-
ehrung liefs auch ihnen schützende Kraft bei-
messen. Der in der zweiten Hälfte des 12.
Jahrhunderts schreibende sächsische Annalist be-
richtet von Graf Lambert von Löwen, der 1016
gegen Herzog Gottfried von Lothringen fiel, der
Reliquienbehälter habe sich freiwillig von seinem
Halse gelöst. 1475 bedauert die Kurfürstin Anna
von Brandenburg, ihrem im Leidzug abwesenden
Gemahl ein goldenes Kreuzlein nicht senden zu
können, da der Span vom hl. Kreuze nicht mehr
darin sei: „Es hats for, ee es marggraff Lriderich
ist worden, ein herr gehabt, der hat auch gekriegt,
und dem sein zwu mefs nachgesprochen worden,
dem ist es glücklich und wol gangen4).“
Wenn wir das an Amulett und Talisman sich
klammernde Schutzbedürfnis auch auf niedrigen
Kulturstufen finden, so bezeichnet es schon eine
geistigere Form, wenn man wähnte, durch die
Kraft des formelhaften Wortes das Geschick
zwingen zu können. Einzig erhaltene Zeugnisse
vorchristlicher Anschauungen sind die anfangs
des 11. Jahrhunderts aufgezeichneten Merseburger
Zaubersprüche, der eine zur Befreiung eines
Gefangenen, der andere zur Heilung eines ver-
renkten Rofsfufses. Die christliche Kirche, die
dem Worte solche Kraft beimafs, konnte bis zu
einem gewissen Grade wohl auf solche Vor-
stellungen eingehen. Den Übergang vom Amulett
bezeichnet es, wenn man Stellen der Evangelien
in Abschrift bei sich trug. Solchen Glauben
erwähnt der um 1470 verfafste Tractatus de
superstitionibus des Johannes Wuschilburgk. Vor
allem das Evangelium Johannis genofs noch später
2) Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Alter-
tumskunde von Erfurt, I. S. 61.
3) Heineccii Antiquit. Goslar. S. 355.
4) Habebat quippe philacterium a collo usque ad
pectus dependens sanctorum reliquiis refertum, quorum
patrocinio se in periculis tutum fore credebat. Mon.
Germ. SS. VI; Steinhausen, Privatbriefe des Mittelalters.
S. 131.
solch geheimnisvolles Ansehen0). In seiner Ab-
handlung „Ob Kriegsleute auch im seligen Stand
sein können“ (1526) berichtet Luther: „Es haben
die Kriegsleute viel Aberglauben im Streit, da
sich einer S. Georgen, der ander S. Christoffel
befiehlt. Etliche können Eisen und Büchsenstein
beschwören, etliche können Rofs und Reuter
segnen0), etliche tragen S. Johanns Evangelium
oder sonst etwas bei sich, darauf sie sich ver-
lassen.“
Daneben entwickelten sich früh besondere
Beschwörungsformeln, die unter christlichen
Wendungen nicht selten noch altheidnische Vor-
stellungen durchschimmern lassen. Als soge-
nannter Segen für alle Möglichkeiten, Krankheiten
und Unglücksfälle ausgestaltet haben sie sich be-
sonders in ländlichen Verhältnissen erhalten und
fristen zum Teil heute noch unter den Sympathie-
mitteln ihr Dasein. Der verbreitetste war der
sogenannte Tobiassegen, angeblich von dem Ge-
nannten seinem Sohne mit auf die Reise gegeben.
Von Geschlecht zu Geschlecht mündlich über-
liefert, hin und wieder aus dem Gedächtnis auf-
geschrieben und wechselnd interpoliert, kehrt er
in allen Jahrhunderten wieder bis zur Gegenwart5 * 7).
Die auf Feindeswaffen bezügliche Stelle lautet
in der ältesten Gestalt, in einem bayrischen Ko-
dex hinter einer Urkunde von 1318 aufgezeichnet:
Elliu waffen sin vor dir verirret
Daz si dich nicht ensniden
Und daz si dich vil gar vermiden
Di gesmit wurden
Sint daz Christ geboren ward
Denne di deinen allein
Di sniden swen ich mein.
Eine andere Einkleidung dieser stetig wieder-
kehrenden Formel ist die als eines vom Papst
Leo an Kaiser Karl gesandten Segens, so in
einem bayrischen Kodex des 15. Jahrhun-
derts 7). Luther spricht davon in seiner Er-
klärung der zehn Gebote (1520): „Es han etlich
brieff, darin vil heiliger wort und Zeichen stan,
sprechen, das der bapst Leo sy geschickt hab
kaiser Carolo in den krieg, das doch nit allein
ein üppikeit sonder auch ein lügen ist, so die
Cronicken anzeigen, das die zwee nit zu einer
zit synd gewesen.“ Eine anmutige Form hat der
Gedanke in einer Aufzeichnung empfangen8), die
1609 in einem Schweizer Bauernhaus in einem
fingerlangen Pergamentbüchlein mit Federzeich-
nungen gesegneter Waffen vermauert wurde:
5) Zeitschr. f. Volkskunde 1901.
ö) d. h. festbannen.
7) Zeitschr. f. Deutsches Altertum XXIV. S 191, 187,
8) Zeitschr. f. Deutsche Mythologie u. Sittenkunde IV.
241
G. LIEBE, WAFFENBESCHWORUNG
Reliquien der Heiligen wurde die Schutzkraft
übertragen. Die Setzschilde2), die sich in Erfurt
aus dem 14. Jahrhundert erhalten haben, weisen
zum Teil auf der Innenseite im rechten Ober-
eck die Umrifszeichnung des hl. Christoph auf,
denn wer dessen Bild erschaut, so ging der
Glaube, würde an dem Tage keines jähen Todes
sterben. Bildnisse der Heiligen, wohl meist auf
Medaillen und Münzen, genossen als Amuletts
grofsen Rufes und auch hier macht der Marien-
kultus seinen Einflufs geltend. Bischof Gerhard
von Hildesheim trug, als er 1367 bei Dinklar die
Übermacht der Magdeburger, Halberstädter und
Anhaltiner schlug, ein Marienbild am Halse3).
Die den Reliquien der Heiligen erwiesene Ver-
ehrung liefs auch ihnen schützende Kraft bei-
messen. Der in der zweiten Hälfte des 12.
Jahrhunderts schreibende sächsische Annalist be-
richtet von Graf Lambert von Löwen, der 1016
gegen Herzog Gottfried von Lothringen fiel, der
Reliquienbehälter habe sich freiwillig von seinem
Halse gelöst. 1475 bedauert die Kurfürstin Anna
von Brandenburg, ihrem im Leidzug abwesenden
Gemahl ein goldenes Kreuzlein nicht senden zu
können, da der Span vom hl. Kreuze nicht mehr
darin sei: „Es hats for, ee es marggraff Lriderich
ist worden, ein herr gehabt, der hat auch gekriegt,
und dem sein zwu mefs nachgesprochen worden,
dem ist es glücklich und wol gangen4).“
Wenn wir das an Amulett und Talisman sich
klammernde Schutzbedürfnis auch auf niedrigen
Kulturstufen finden, so bezeichnet es schon eine
geistigere Form, wenn man wähnte, durch die
Kraft des formelhaften Wortes das Geschick
zwingen zu können. Einzig erhaltene Zeugnisse
vorchristlicher Anschauungen sind die anfangs
des 11. Jahrhunderts aufgezeichneten Merseburger
Zaubersprüche, der eine zur Befreiung eines
Gefangenen, der andere zur Heilung eines ver-
renkten Rofsfufses. Die christliche Kirche, die
dem Worte solche Kraft beimafs, konnte bis zu
einem gewissen Grade wohl auf solche Vor-
stellungen eingehen. Den Übergang vom Amulett
bezeichnet es, wenn man Stellen der Evangelien
in Abschrift bei sich trug. Solchen Glauben
erwähnt der um 1470 verfafste Tractatus de
superstitionibus des Johannes Wuschilburgk. Vor
allem das Evangelium Johannis genofs noch später
2) Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Alter-
tumskunde von Erfurt, I. S. 61.
3) Heineccii Antiquit. Goslar. S. 355.
4) Habebat quippe philacterium a collo usque ad
pectus dependens sanctorum reliquiis refertum, quorum
patrocinio se in periculis tutum fore credebat. Mon.
Germ. SS. VI; Steinhausen, Privatbriefe des Mittelalters.
S. 131.
solch geheimnisvolles Ansehen0). In seiner Ab-
handlung „Ob Kriegsleute auch im seligen Stand
sein können“ (1526) berichtet Luther: „Es haben
die Kriegsleute viel Aberglauben im Streit, da
sich einer S. Georgen, der ander S. Christoffel
befiehlt. Etliche können Eisen und Büchsenstein
beschwören, etliche können Rofs und Reuter
segnen0), etliche tragen S. Johanns Evangelium
oder sonst etwas bei sich, darauf sie sich ver-
lassen.“
Daneben entwickelten sich früh besondere
Beschwörungsformeln, die unter christlichen
Wendungen nicht selten noch altheidnische Vor-
stellungen durchschimmern lassen. Als soge-
nannter Segen für alle Möglichkeiten, Krankheiten
und Unglücksfälle ausgestaltet haben sie sich be-
sonders in ländlichen Verhältnissen erhalten und
fristen zum Teil heute noch unter den Sympathie-
mitteln ihr Dasein. Der verbreitetste war der
sogenannte Tobiassegen, angeblich von dem Ge-
nannten seinem Sohne mit auf die Reise gegeben.
Von Geschlecht zu Geschlecht mündlich über-
liefert, hin und wieder aus dem Gedächtnis auf-
geschrieben und wechselnd interpoliert, kehrt er
in allen Jahrhunderten wieder bis zur Gegenwart5 * 7).
Die auf Feindeswaffen bezügliche Stelle lautet
in der ältesten Gestalt, in einem bayrischen Ko-
dex hinter einer Urkunde von 1318 aufgezeichnet:
Elliu waffen sin vor dir verirret
Daz si dich nicht ensniden
Und daz si dich vil gar vermiden
Di gesmit wurden
Sint daz Christ geboren ward
Denne di deinen allein
Di sniden swen ich mein.
Eine andere Einkleidung dieser stetig wieder-
kehrenden Formel ist die als eines vom Papst
Leo an Kaiser Karl gesandten Segens, so in
einem bayrischen Kodex des 15. Jahrhun-
derts 7). Luther spricht davon in seiner Er-
klärung der zehn Gebote (1520): „Es han etlich
brieff, darin vil heiliger wort und Zeichen stan,
sprechen, das der bapst Leo sy geschickt hab
kaiser Carolo in den krieg, das doch nit allein
ein üppikeit sonder auch ein lügen ist, so die
Cronicken anzeigen, das die zwee nit zu einer
zit synd gewesen.“ Eine anmutige Form hat der
Gedanke in einer Aufzeichnung empfangen8), die
1609 in einem Schweizer Bauernhaus in einem
fingerlangen Pergamentbüchlein mit Federzeich-
nungen gesegneter Waffen vermauert wurde:
5) Zeitschr. f. Volkskunde 1901.
ö) d. h. festbannen.
7) Zeitschr. f. Deutsches Altertum XXIV. S 191, 187,
8) Zeitschr. f. Deutsche Mythologie u. Sittenkunde IV.