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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 4.1906-1908

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12. Heft
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Reimer, Paul: Vom Schwarzpulver
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https://doi.org/10.11588/diglit.38677#0398

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12. HEFT

PAUL REIMER, VOM SCHVVARZPULVER

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grofs. Verbrennen wir i kg Kohle mit 22/3 kg
Sauerstoff, so erhalten wir 8080 Wärmeeinheiten,
welche zumeist in den entstandenen 3 2/3 kg Kohlen-
säure aufgespeichert sind und diesem Gas ein
ganz beträchtliches Ausdehnungsbestreben infolge
der eingetretenen Temperaturerhöhung geben.
Diese 8080 Wärmeeinheiten entsprechen einer
Energiemenge von 3,422,284 mkg. Noch erheb-
lich mehr Energie ergibt die Verbrennung von
1 kg Wasserstoff und 8 kg Sauerstoff zu 9 kg
Wasser, wobei nicht weniger als 28780 Wärme-
einheiten frei werden, welche einer Energiemenge
von 12,189,769 mkg entsprechen.
Wir sehen also, dafs wir in der chemischen
Affinität eine Energiequelle von höchster Er-
giebigkeit besitzen. Die hohe Wärme des ver-
brennenden Wasserstoffes nutzen wir, wie be-
kannt, in dem sogenannten Knallgasgebläse aus,
bei welchem die Vereinigung dieses Stoffes mit
dem Sauerstoff erst in der Flamme selbst erfolgt.
Mischen wir dagegen die obigen Mengen beider
Stoffe, also in dem für die Verbindung günstig-
sten Verhältnis, und verdichten wir dies Gemenge
noch etwa bis zum Flüssigwerden, so können wir
die gesamte Energiemenge durch Zuführung eines
Funkens in einem unmefsbar kleinen Augenblick
erhalten — aber noch kein Mensch hat dieses
jemals gewagt, denn eine beispiellose Zerstörung
würde die Folge sein, der gegenüber unsere
verheerendsten Dynamitexplosionen kaum zu
nennen wären. Die Erscheinung ist unter dem
Namen der Knallgasexplosion genugsam bekannt
und wir wissen, dafs schon ein Zimmer voll eines
dem obigen gegenüber ganz harmlosen Gemisches
von Leuchtgas und Luft ein modernes Haus
niederzuwerfen vermag.
Warum verbrennt nun das Knallgas in einem
Augenblick, die Kohle aber so langsam? Diese
anscheinend so überflüssige Frage wird uns zum
Schiefspulver hinüberleiten.
Die chemische Verbindung zwischen Sauer-
stoff und einem brennbaren Körper kann natür-
lich nur an den Berührungsstellen vor sich gehen,
keiner der nicht schiefspulverartigen, brennbaren
Stoffe vermag in seiner ganzen Masse zu brennen,
auch Benzin und Petroleum nicht. Da nun Sauer-
stoff ein Gas ist, läfst es sich leicht mit anderen
Gasen, z. B. Wasserstoff derart mischen, dafs jedes
kleinste Teilchen Wasserstoff von dem zur Ver-
brennung nötigen Sauerstoff umgeben ist, also
bei einem entsprechenden äufseren Anstofs sofort
verbrennen und hierbei Energie abgeben kann.
Ein Knallgasgemisch ist also ein zum sofortigen
plötzlichen Ablauf bereites Spannwerk, bei dessen
durch Wärmezufuhr an einer Stelle bewirktem
Ablauf die gesamte entstehende WTärme von

28780 Einheiten in dem sich bildenden Wasser-
dampf aufgespeichert wird und diesem ein Aus-
dehnungsvermögen gibt, welches die theoretische
Arbeitsmenge von 12,189,769 kg' nahezu erreicht.
Körper von dem Charakter dieses Knallgas-
gemisches nennen wir „Sprengstoffe“, allerdings
gehören hierzu auch noch anders geartete Körper,
deren Besprechung' jedoch von unserem Thema
abführt.
Der feste Zustand der Kohle gestattet nun
eine derartig innige Vermengung mit dem Sauer-
stoff nicht. Indessen kann man die Kohle zu sehr
feinem Staub zerkleinern und mit Sauerstoff
mischen — und schon haben wir ebenfalls einen
Sprengstoff von dem eben beschriebenen Charakter
wie die durch Kohlenstaubexplosionen in Berg-
werken, durch Mehlstaubexplosionen in Mühlen
verursachten Katastrophen beweisen. Es ist eben
auch hier jedem kleinsten Teilchen des brenn-
baren Körpers Gelegenheit gegeben, bei vor-
handenem äufseren Anstofs augenblicklich zu
verbrennen und seine Wärme abzugeben. Von
wesentlicher Bedeutung hierbei ist, dafs die Ver-
brennungsprodukte gasförmig sind und durch
das mit der aufgenommenen Wärme erhaltene
Ausdehnungsvermögen sofort mechanische Arbeit
leisten können. Die Anwendung derartiger aus
fein verteilten brennbaren Stoffen in Sauerstoff
bestehender Sprengstoffe ist bisher auf ein ein-
ziges Beispiel beschränkt geblieben, nämlich auf
die flüssige Luft. In dieser ist der Sauerstoff
stark verdichtet, also in seiner oxydierenden
Wirkung sehr verstärkt. Pudert man nun Wratte
innig mit feinstem Kohlenstaub ein und tränkt
dieselbe in einer starken Papierhülse mit flüssiger
Luft, so erhält man einen der Dynamitpatrone
völlig ebenbürtigen Sprengkörper, der beim
Bau des Simplontunnels mit Erfolg versucht
worden ist, aber wieder verlassen wurde, da das
Arbeiten mit flüssiger Luft vor Ort zu umständ-
lich war.
Das Wesen der Erfindung des Schiefspulvers
besteht nun darin, dafs es gelang, ein Verfahren
zu finden, der fein verteilten Kohle den Sauer-
stoff in fester Form, nämlich in Gestalt des Sal-
peters anzulagern. Der Salpeter ist das Kalium-
salz der Salpetersäure, einer Substanz, welche
dazu neigt, ihren Sauerstoff abzustofsen und daher
als „Sauerstoffträger“ bezeichnet werden kann.
Der den gröfsten Teil unserer Atmosphäre in
freiem Zustande einnehmende Stickstoff nämlich
hat eine aufserordentlich geringe Affinität zu
anderen Stoffen und sogar eine offenbare Ab-
neigung gegen den Sauerstoff, mit dem er sich
nur sehr widerwillig verbindet, wenn er u. a.
durch den Lebensprozefs einiger Pflanzen, z. B.
 
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