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VIII. BAND
WILHELM ERBEN, SCHWERTLEITE UND RITTERSCHLAG
die Annahme einer deutschen Auflösung sehr un-
wahrscheinlich. Wegeli hat auf den eigenartigen
Charakter dieser schmalen, hohen und eng an-
einander geprefsten Buchstaben, welche als fein
gezogene Linien in Silber auf dem flachen Hohl-
schliff der einen Klingenfläche eingelegt sind, mit
Recht aufmerksam gemacht, und er hat sie dort,
wo er seine Beobachtungen über die Schriftarten
zusammenfafst, als einzig dastehend und als eine
Übergangsform zwischen romanischer und goti-
scher Majuskelschrift angesehen100). Ich glaube,
man trifft das Wesen der Sache genauer, wenn
man diese Klingeninschrift mit der sogenannten
„verlängerten Schrift“ vergleicht, die in Kaiser-
jenigen Zeichen, die er für H (h) ansah, unmöglich
so gelesen werden können. Das von ihm ange-
nommene Majuskel-H (vierter Buchstabe seiner
Lesung in der ersten, dritter in der zweiten Hälfte)
ist kein H sondern ein N; die schiefe Lage des
Mittelbalkens läfst darüber keinen Zweifel: statt
EHR mufs also ENR gelesen werden. Und
auch das von Wegeli an vier Stellen angenommene
I C II ist unmöglich, weil das hier als h betrach-
tete Zeichen in einer solchen Schrift niemals h
bedeuten kann; es liegen vielmehr feinstilisierte,
aus getrenntem Ober- und Unterteil gebildete
Majuskel-S vor: das angebliche ICH verwandelt
sich also mit aller Sicherheit in 1 C S. Dabei ist
Abb. 3 (s. S. 129).
und Königsurkunden sowie in anderen feierlich
ausgestatteten Urkunden des Mittelalters zur
Hervorhebung der ersten Zeile und der Unter-
schriftszeilen verwendet wird161). Der Vergleich
mit dieser Abart der Urkundenschrift macht für
unsere Klingeninschrift deutschen Inhalt schon
deshalb unwahrscheinlich, weil verlängerte Schrift
dieser Art nur in lateinischen Urkunden verwendet
wurde, und er schliefst den Vorschlag Wegelis
gänzlich aus, weil in dieser Schriftgattung die-
i6°) Wegeli S. 299; vorher, S, 290, macht er auf eine
gewisse Ähnlichkeit mit der in Fig. 50 abgebildeten Schrift
aufmerksam. _ _
ist) p^r das Gebiet der Kaiser- und Königsurkunden
habe ich die ganze Entwicklung dieser Schriftgattung in
meiner Urkundenlehre (Handbuch der mittelalterlichen und
neueren Geschichte, herausgegeben von Below und Meineke,
Abtlg. IV).1, 129fr, 134h, 207 ff., 248fr. ausführlich dargelegt,
dort auch S. iiyff., 190f. und 234L eine Übersicht der für
die einzelnen Zeiträume zur Verfügung stehenden Faksimile
geboten, an denen sich diese Schriftgattung verfolgen läßt.'
ferner zu beachten, dafs in allen vier Fällen, wo
diese Verbindung vorkommt, das I in der Mitte
einen kurzen wagrechten Querstrich aufweist,
der als Kürzungszeichen aufzufassen ist; somit
erhalten wir, die durch dieses Kürzungszeichen
angedeutete Weglassung eines V ergänzend, an
zwei Stellen ENRICVS, an zweien aber
NERICVS. Was die verschiedenartigen und
doch so nahe verwandten Stellen trennt, glaubte
Wegeli als ein Ornament ansehen zu sollen, das
mit Jesus Christus aufzulösen sei162). Es ist aber
tatsächlich nichts anderes als eine Folge von drei
Zeichen der „verlängerten Schrift“, deren erstes,
D, in gleicher Weise wie das vorhin besprochene
I mit einem Kürzungszeichen versehen, deren
letztes entweder als eine Verschränkung von Gr
und E (allenfalls C und E) oder aber als eine
’62) Bei Wegeli * S. 262 Fig. 27 ist dieses „Ornament“
noch besonders abgebildet, aber in umgekehrter Gestalt.
VIII. BAND
WILHELM ERBEN, SCHWERTLEITE UND RITTERSCHLAG
die Annahme einer deutschen Auflösung sehr un-
wahrscheinlich. Wegeli hat auf den eigenartigen
Charakter dieser schmalen, hohen und eng an-
einander geprefsten Buchstaben, welche als fein
gezogene Linien in Silber auf dem flachen Hohl-
schliff der einen Klingenfläche eingelegt sind, mit
Recht aufmerksam gemacht, und er hat sie dort,
wo er seine Beobachtungen über die Schriftarten
zusammenfafst, als einzig dastehend und als eine
Übergangsform zwischen romanischer und goti-
scher Majuskelschrift angesehen100). Ich glaube,
man trifft das Wesen der Sache genauer, wenn
man diese Klingeninschrift mit der sogenannten
„verlängerten Schrift“ vergleicht, die in Kaiser-
jenigen Zeichen, die er für H (h) ansah, unmöglich
so gelesen werden können. Das von ihm ange-
nommene Majuskel-H (vierter Buchstabe seiner
Lesung in der ersten, dritter in der zweiten Hälfte)
ist kein H sondern ein N; die schiefe Lage des
Mittelbalkens läfst darüber keinen Zweifel: statt
EHR mufs also ENR gelesen werden. Und
auch das von Wegeli an vier Stellen angenommene
I C II ist unmöglich, weil das hier als h betrach-
tete Zeichen in einer solchen Schrift niemals h
bedeuten kann; es liegen vielmehr feinstilisierte,
aus getrenntem Ober- und Unterteil gebildete
Majuskel-S vor: das angebliche ICH verwandelt
sich also mit aller Sicherheit in 1 C S. Dabei ist
Abb. 3 (s. S. 129).
und Königsurkunden sowie in anderen feierlich
ausgestatteten Urkunden des Mittelalters zur
Hervorhebung der ersten Zeile und der Unter-
schriftszeilen verwendet wird161). Der Vergleich
mit dieser Abart der Urkundenschrift macht für
unsere Klingeninschrift deutschen Inhalt schon
deshalb unwahrscheinlich, weil verlängerte Schrift
dieser Art nur in lateinischen Urkunden verwendet
wurde, und er schliefst den Vorschlag Wegelis
gänzlich aus, weil in dieser Schriftgattung die-
i6°) Wegeli S. 299; vorher, S, 290, macht er auf eine
gewisse Ähnlichkeit mit der in Fig. 50 abgebildeten Schrift
aufmerksam. _ _
ist) p^r das Gebiet der Kaiser- und Königsurkunden
habe ich die ganze Entwicklung dieser Schriftgattung in
meiner Urkundenlehre (Handbuch der mittelalterlichen und
neueren Geschichte, herausgegeben von Below und Meineke,
Abtlg. IV).1, 129fr, 134h, 207 ff., 248fr. ausführlich dargelegt,
dort auch S. iiyff., 190f. und 234L eine Übersicht der für
die einzelnen Zeiträume zur Verfügung stehenden Faksimile
geboten, an denen sich diese Schriftgattung verfolgen läßt.'
ferner zu beachten, dafs in allen vier Fällen, wo
diese Verbindung vorkommt, das I in der Mitte
einen kurzen wagrechten Querstrich aufweist,
der als Kürzungszeichen aufzufassen ist; somit
erhalten wir, die durch dieses Kürzungszeichen
angedeutete Weglassung eines V ergänzend, an
zwei Stellen ENRICVS, an zweien aber
NERICVS. Was die verschiedenartigen und
doch so nahe verwandten Stellen trennt, glaubte
Wegeli als ein Ornament ansehen zu sollen, das
mit Jesus Christus aufzulösen sei162). Es ist aber
tatsächlich nichts anderes als eine Folge von drei
Zeichen der „verlängerten Schrift“, deren erstes,
D, in gleicher Weise wie das vorhin besprochene
I mit einem Kürzungszeichen versehen, deren
letztes entweder als eine Verschränkung von Gr
und E (allenfalls C und E) oder aber als eine
’62) Bei Wegeli * S. 262 Fig. 27 ist dieses „Ornament“
noch besonders abgebildet, aber in umgekehrter Gestalt.