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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 8.1918-1920

DOI Heft:
10./11. Heft
DOI Artikel:
Horwitz, Hugo Theodor: Zur Entwicklungsgeschichte der Armbrust
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44570#0331

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10./11. HEFT HUGO TH. HORWITZ, ZUR ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER ARMBRUST

311

Zur Entwicklungsgeschichte der Armbrust
Von Hugo Th. Horwitz

Die Waffengeschichte hat bisher fast aus-
schliefslich historische Methoden benützt.
Sie hat ihr wissenschaftliches Material zu-
sammengetragen, geordnet und gesichtet und
dann versucht, aus den sich auf diese Weise er-
gebenden Einzeldaten einen stetig fortlaufenden
Werdegang der verschiedenen Waffen und der
Waffentechnik überhaupt zu konstruieren. Die Er-
gebnisse dieses Verfahrens waren verschieden:
in Fällen, in denen die Quellen reichlich flössen,
bpt die Darstellung ein halbwegs geschlossenes
und abgerundetes Bild; in anderen Fällen da-
gegen, wenn nur wenig Überlieferungen oder
Altertümer auf uns gekommen sind, ergab diese
Entwicklungsgeschichte mehr Lücken als Tat-
sachen, und von der Darstellung des wirklichen
Werdeganges kann nicht die Rede sein.
In solch einem Falle dürfte es angemessen
erscheinen, einmal ein anderes Verfahren zu ver-
suchen und statt der den historischen Wissen-
schaften entnommenen Methode die der Natur-
wissenschaften anzuwenden. Unter diesen ist es
vor allem die Biologie, die sich hauptsächlich mit
der Entwicklungsgeschichte beschäftigt. Auch
dort kommt es vor, dafs der Werdegang, ein-
zelner Stufen in einer nicht genügend dichten
Aufeinanderfolge wiedergegeben werden kann,
dafs grofse Lücken in der Reihenfolge entstehen
und dafs der Forscher trotzdem gezwungen ist,
ein geschlossenes, wenn vielleicht auch erkünstel-
tes Bild der Stammreihe zu entwerfen. Die Me-
thode ist einfach: man ordnet die gefundenen
Entwicklungsstadien chronologisch, läfst sie, wenn
nur geringe Unterschiede und Abweichungen in
der Reihenfolge auftreten, beisammen und kon-
struiert auf diese Art die Entwicklungsreihe.
Wenn jedoch gröfsere oder kleinere Lücken vor-
handen sind, mufs der Lauf der unterbrochenen
Kette durch Interpolation wieder, geschlossen
werden.
Der Werdegang erscheint durch diese Me-
thode natürlich teilweise erkünstelt, denn die durch
die Interpolation ausgefüllten Lücken werden nur
in seltenen Fällen genau der wirklichen, geschicht-
lichen Entwicklung entsprechen. Meistens dürften
sie nur eine Annäherung an die tatsächliche Ab-
folge bieten und gelegentlich, wenn eigenartige
Umstände die Erfassung der Quellen besonders
schwierig gestalten, oder wenn der historische.

Instinkt des Geschichtsschreibers versagt, wird
ein ganz falsches Bild der ergänzten Stellen ge-
schaffen. Aber noch eine andere Schwierigkeit
darf nicht vergessen werden: in der Biologie
handelt es sich immer um wirklich durchlaufene
Fortpflanzungsreihen, wobei sich eine Form ohne
störende Beeinflussung von aufsen stets folge-
richtig aus der anderen entwickelt. Bei derWaffen-
geschichte, wie bei der Kulturgeschichte über-
haupt spielt dagegen die Beeinflussung von aufsen
eine grofse Rolle. Formen und Gebrauchsweisen
werden von einem Kulturkreis auf den anderen
übertragen, Erfindungen können verloren gehen
und wieder neu gemacht, oder ihre schriftlichen
Überlieferungen neu entdeckt werden, so dafs
man hier keinesfalls von einer einfachen, geraden
Entwicklungslinie sprechen darf. —
Was bisher ganz allgemein gesagt wurde,
soll nun an einer Geschichte der Armbrust er-
läutert werden. Dabei mag dieser Aufsatz nur
als Festlegung der Grundsätze, als ein Arbeits-
programm Bedeutung haben, bei dem nicht auf
die Prüfung der einzelnen Angaben eingegangen
werden soll, sondern nur gezeigt sein mag, welche
Förderung auch die Waffengeschichte durch die
Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden er-
fahren kann. Die Durcharbeitung des . Stoffes
nach dem hier zu entwickelnden Verfahren soll
späteren Aufsätzen Vorbehalten , bleiben, wobei
sich, der Verfasser die Erwartung auszusprechen
gestattet, dafs bei dem ihm ferner liegenden Ge-
biete des Werdeganges der europäischen Arm-
brust auch andere Forscher Anregung erfahren
mögen.
Gleich zu Anfang sei die Frage aufgeworfen,
wie weit sich die geschichtliche Untersuchung der
Armbrust erstrecken soll. Dafs neben der histori-
schen Entwicklung der Formen des europäischen
Kulturkreises auch die der Typen des vorder-
asiatischen, des ostasiatischen und des afrikani-
schen treten müssen, darüber herrscht heute kein
Zweifel mehr. Die Geschichtsschreibung ist längst
darüber hinaus, die Mittelmeerkultur als die einzige
von weltgeschichtlicher Bedeutung zu betrachten;
und aufserdem. hat sie eingesehen, dafs die ver-
gleichende Untersuchung verschiedener Kultur-
kreise nicht nur wegen der Festlegung der gegen-
seitigen Beeinflussung, sondern auch bei unbe-
einflufster Entwicklung durch die Ermöglichung
 
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